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Von türkischen Nationalisten bedroht
Politikwissenschaftler Burak Çopur wird nach Lob für ARD-Dokumentation über Massaker an Aleviten angefeindet
Weil sich der Politikwissenschaftler Burak Çopur im Kurznachrichtendienst Twitter positiv zu einer Fernsehdokumentation geäußert hat, wird er massiv bedroht. »Extreme Nationalisten und kemalistische Kreise haben E-Mails an meine Universität geschickt, in denen sie meine Entlassung fordern«, erklärte der Professor, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt, gegenüber dem türkischen Nachrichtenportal Artı Gerçek.
Çopur hält auch den türkischen Präsidenten nicht für unbeteiligt. »Erdoğans langer Arm reicht bis zu den Universitäten in Deutschland. Akademiker, die sich kritisch mit den historischen und politischen Tatsachen auseinandersetzen, sollen in Deutschland zum Schweigen gebracht werden, wie es in der Türkei bereits der Fall ist«, meinte Çopur.
Was war passiert? Anfang Dezember zeigte die ARD eine Dokumentation mit dem Titel »Das vergessene Massaker - Wie Kemal Atatürk Aleviten ermorden ließ«, in der das brutale Vorgehen des türkischen Staates gegen die Aleviten aus der östlich gelegenen Stadt Dersim in den Jahren 1937 und 1938 thematisiert wird. Aleviten sind bis heute eine religiöse Minderheit in der Türkei. Die junge türkische Republik versuchte damals, die Aleviten, von denen viele kein Türkisch sprachen, unter Zwang zu assimilieren. Dazu gehörte auch die Umbenennung von Dersim in Tunceli.
Nach offiziellen Angaben wurden damals 13 000 Dersimer ermordet, andere Quellen nennen die dreifache Zahl an Toten. Die Dokumentation der ARD sorgt seit mehr als einer Woche für Aufruhr. Im türkischen Fernsehen fand eine Diskussionsrunde mit dem Titel »Atatürk-Skandal-Doku in Deutschland« statt, in der über den »Grund für den hässlichen Hitler-Atatürk-Vergleich in Deutschland« debattiert wurde.
Die Universität Duisburg-Essen hat sich nun hinter ihren Mitarbeiter Çopur gestellt. »Wir verurteilen jedweden Angriff auf die grundgesetzlich verbürgte Freiheit der Wissenschaft«, erklärt eine Sprecherin der Universität gegenüber der »Neuen Westfälischen«. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich innerhalb der Grenzen der deutschen Verfassung bewegten, dürften nicht unter Druck gesetzt werden.
Die ARD reagierte öffentlich auf die Kritik und bezog sich dabei auf ein Dokument aus einem türkischen Staatsarchiv, das auch im Film zu sehen ist. Dieses ist auf den 7. August 1937 datiert und trägt die Unterschrift von Kemal Atatürk, der zu dem Zeitpunkt der Präsident der türkischen Republik war. Darin wird eine Bestellung von 20 Tonnen Giftgas aus dem faschistischen Deutschland angeordnet. In der Dokumentation berichten Angehörige von Zeitzeugen, wie sich über tausend Dersimer in Felshöhlen versteckt hatten und darin vergast wurden.
Trotz eindeutiger Belege werden die Ereignisse bis heute im offiziellen Diskurs verschwiegen. »Dersim ist unsere Blackbox, weil in Dersim die Geschichte der Türkei mit drinsteckt«, sagte die aus Dersim stammende Pädagogin Deniz Karakas, die in Hamburg lebt, im Dokumentationsfilm. Vor allem die Kemalisten seien nicht bereit, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Und das, obwohl der Vorsitzende der kemalistischen und oppositionellen Partei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, selbst aus Tunceli stammt und auch nicht geringe Teile der CHP-Wählerschaft Aleviten sind.
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