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Anerkennung und Aufwertung

Was Arbeitskämpfe in den Kitas und den Krankenhäusern erreichen. Ein Gewerkschafter berichtet

  • Martin Beckmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Mit den Arbeitskämpfen im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste 2009 und 2015 und jenen in verschiedenen Krankenhäusern in den letzten Jahren hat die Qualität der Arbeitsbedingungen im Bereich sozialer Dienstleistungsarbeit an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen. Dabei stellen sich verschiedene Fragen: Welche Themen dominieren die Arbeitskämpfe, was unterscheidet diese von Arbeitskämpfen etwa in Industrie oder industrienahen Dienstleistungen und was sind Erfolgsfaktoren?

Insbesondere vor dem Hintergrund des seit 2013 für Kinder ab dem ersten Lebensjahr bestehenden Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz wurden die Kindertagesstätten in den letzten Jahren ausgebaut und ist die Zahl der dort betreuten Kinder stark angewachsen. Parallel stieg auch die Zahl der in Kitas tätigen Erzieher*innen – 2016 waren bereits über 593.000 Pädagog*innen in der Kinderbetreuung tätig –, wobei der Anteil der Frauen weiterhin stark überwiegt.

Mit Blick auf die Art der Beschäftigungsverhältnisse fällt die große Bedeutung von Arbeit in Teilzeit auf. Sie ist in den letzten Jahren sehr viel stärker gewachsen als die Vollzeit, insgesamt liegt die Teilzeitquote in den Kitas bei etwa 60 Prozent. Mit dem politischen Beschluss, die frühkindliche Bildung mittels Kita-Ausbau zu stärken, sind auch die Anforderungen an den Beruf der Erzieher*innen gestiegen.

Diese Entwicklung drückt sich aber nicht in entsprechenden Arbeits- und Entlohnungsbedingungen aus, so die Einschätzung vieler Kita-Beschäftigter. Eine Untersuchung von Anja Hall und Ingrid Leppelmeier im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass Stress und Arbeitsdruck zugenommen haben. Ein besonderes Problem sind die körperlichen Belastungen, insbesondere Lärm und Arbeit in gebückter, hockender, kniender oder liegender Haltung. Und auch die Unzufriedenheit mit der Höhe des eigenen Entgelts übersteigt die anderer Berufsgruppen deutlich, wobei unfreiwillige Teilzeitarbeit ein wichtiger Faktor ist.

Die Diskrepanz zwischen dem Ausbau der Kitas, gepaart mit einer gesellschaftlichen Rhetorik der Anerkennung der dort geleisteten Arbeit einerseits und den von den Erzieher*innen wahrgenommen Arbeitsbedingungen andererseits, dürfte maßgeblichen Anteil an der Zunahme von Arbeitskämpfen dort gehabt haben. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass die Streiks überwiegend auf öffentliche Kitas beschränkt waren, wo etwa ein Drittel der Kita-Beschäftigten arbeitet.

Die Streikbewegungen waren 2006 und 2008 noch Teil von Warnstreiks im Rahmen der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen allgemein. 2009 und 2015 hingegen wurden für den Bereich des öffentlichen Sozial- und Erziehungsdienstes eigene Tarifverhandlungen geführt. Dabei spielte die Forderung nach der Aufwertung sozialer Tätigkeiten, insbesondere über eine verbesserte tarifliche Eingruppierung, eine zentrale Rolle. Mittels der Forderung nach Aufwertung gelang nicht nur die Mobilisierung der Erzieher*innen.

Wichtig war auch, dass die öffentliche Meinung für die Ziele der Streikbewegung gewonnen werden konnte. Deshalb wurden die Arbeitskampfmaßnahmen von Verdi durch eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit begleitet, die die gesellschaftliche Bedeutung der in Kitas geleisteten Arbeit betonte. Zusätzlich musste dafür gesorgt werden, dass die Eltern der in den Kitas betreuten Kinder das Anliegen unterstützen, um den politischen Druck auf die kommunalen Arbeitgeber zu erhöhen. Denn ökonomischer Druck lässt sich hier mit einem Streik nicht entfalten, im Gegenteil: Die Arbeitgeber sparen sogar noch Personalkosten.

Während die Kitas im Sinne eines investiven Wohlfahrtsstaats ausgebaut werden, ist das zentrale Strukturmerkmal der Entwicklung des Gesundheitssektors in den letzten Jahrzehnten seine zunehmende Ökonomisierung. Im Bereich der Krankenhäuser war dabei ein Systemwechsel bei ihrer Finanzierung zentral, der 2004 mit der Einführung der Fallpauschalen einsetzte. Erfolgte bis dahin eine im Wesentlichen zeitraumbezogene Vergütung, so war es ab dann eine pro Behandlungsfall. Dieser Wechsel, gepaart mit verringerten öffentlichen Investitionen und der Privatisierung vieler Krankenhäuser, blieb nicht ohne Folgen: Zwischen 1991 und 2007 hat die Zahl der Pflegekräfte in Krankenhäusern um rund 10 Prozent abgenommen. Zwar ist diese seitdem wieder gestiegen, da die Fallzahlen aber ebenfalls zunahmen, hat sich das quantitative Verhältnis der Pflegekräfte zu den zu betreuenden Patient*innen nicht verbessert.

Diese Tendenz wird durch die wachsende Teilzeitbeschäftigung nochmals verschärft.

Die Konsequenz ist, dass der Arbeitsdruck, der auf dem Pflegepersonal lastet, zugenommen hat. Dies bestätigt etwa eine Beschäftigtenbefragung im Rahmen des DGB-Indexes Gute Arbeit von 2018 zu Interaktionsarbeit, also Arbeiten mit Menschen. Die Befragten, die in der Pflege (Alten- wie Krankenpflege) arbeiten und häufig direkten Patient*innenkontakt haben, betonen insbesondere die hohe Arbeitsintensität und die hohen körperlichen und emotionalen Anforderungen an ihre Arbeit und sie bewerten ihre Arbeitsbedingungen sehr viel schlechter als interaktiv arbeitende Beschäftigte in anderen Dienstleistungssektoren. Als wesentliche Ursachen für den Stress machen die Beschäftigten fehlende Zeitressourcen, ein Übermaß an Dokumentationspflichten und eine zu knappe Personalbemessung aus. Als zusätzliche Belastung für Arbeit in der Krankenpflege wirkt das Arbeiten in Wechselschichten.

Dreh- und Angelpunkt verbesserter Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern ist daher eine verringerte Arbeitsbelastung, die mittels einer verbesserten Personalbemessung erreicht werden soll. Hierzu sollen verbindliche Personaluntergrenzen für die jeweiligen Stationen festgeschrieben werden. Hier ist einerseits der Gesetzgeber gefragt, andererseits werden in den letzten Jahren auch gewerkschaftliche Arbeitskämpfe geführt, um solche Personaluntergrenzen per Tarifvertrag festzuschreiben. Ausgehend von der Berliner Charité, wo es im Juni 2015 zu einem unbefristeten Erzwingungsstreik kam, an dessen Ende die Grundlage für tarifliche Mindestbesetzungsregeln gelegt war, steht in immer mehr Tarifauseinandersetzungen, die Verdi in Krankenhäusern führt, die Personalausstattung im Zentrum. Ein Erfolgsfaktor ist dabei eine stärkere Beteiligungsorientierung mithilfe von Tarifberater*innen. Diese fungieren als lokale Ansprechpartner*innen und Bindeglied zwischen der Tarifkommission und den gewerkschaftlich Aktiven auf den Stationen. Ein weiterer besteht in der Politisierung des Arbeitskampfs durch Bündnisarbeit. Die Auseinandersetzung an der Charité etwa wurde durch das Bündnis »Berlinerinnen und Berliner für mehr Krankenhauspersonal« unterstützt, das einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit übernahm und half, die gewerkschaftlichen Aktiven zu entlasten.

Auch wenn die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Arbeitskämpfe in den Kitas und den Krankenhäusern unterschiedlich sind, ihre Auswirkungen auf die Einstellungen der Beschäftigten scheinen ähnlich zu sein. Die Jenaer Soziolog*innen Karina Becker, Yalcin Kutlu und Stefan Schmalz konstatieren in ihrem Beitrag zu dem Sammelband »Sorge-Kämpfe« von Ingrid Artus eine »mobilisierende Rolle des Berufs-Ethos«. Eine systematische Überlastung der Beschäftigten geht nicht nur auf deren eigene Kosten, sondern schadet auch den Menschen, um die sie sich kümmern: Kindern und Patient*innen. Die Verbindung zwischen den Beschäftigteninteressen und jenen der Nutzer*innen der Leistungen dürfte hier auch in Zukunft zum Erfolg der Auseinandersetzungen beitragen.

Martin Beckmann ist Gewerkschaftssekretär in der Grundsatzabteilung der Verdi-Bundesverwaltung in Berlin

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