Klimastreik gegen die Mehrheit

Lorenz Gösta Beutin über den Klimastreik der Regierungen in Madrid

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

Was waren das für 365 Tage. Ein Jahr lang, jeden Freitag, bei Schnee und Sommersonne, gingen Schülerinnen und Schüler nicht zur Schule. Stattdessen streikten sie fürs Klima, allen voran Greta Thunberg. Als Schulschwänzer und Ahnungslose diskreditiert, konnten sie umso mehr Menschen vom Sofa hochkriegen.

Allein in Deutschland strömten über eine Million Demonstranten auf die Straßen und Plätze, um die Regierung im Kanzleramt zu einem schnellen Kohleausstieg zu bewegen. Sie zu Klimaschutz-Sofortmaßnahmen für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und des 1.5-Grad-Ziels zu drängen, zu einer Politik nach Erkenntnissen der Klimawissenschaft, nicht nach den Profitbedürfnissen der CEOs von RWE, VW und Deutscher Bank.

Ein Jahr später macht sich in der jungen Klimabewegung so etwas wie Ratlosigkeit, Enttäuschung, ja Ernüchterung mit dem politischen System breit. Denn trotz der bunten und friedlichen Proteste, die das Land von Kiel bis Konstanz politisiert haben, trotz der Ausrufung des Klimanotstandes in der Europäischen Union und deutschen Städten, trotz der breiten Berichterstattung über den Wunsch einer Mehrheit nach echter Klimapolitik, trotz alledem hat sich die Große Koalition nicht zu einem großen Klimapaket aufgerafft. Sondern betreibt weiter wie gehabt gefährliches Business-as-Usual. Weiter ist Deutschland Braunkohleweltmeister, weiter der größte Klimasünder der EU, weiter der historisch viergrößte CO2-Emittent der Welt. Es scheint ganz so, als sei die Bundesregierung, statt zu handeln, in den Klimastreik getreten.

Auch auf der UN-Klimakonferenz in Madrid wird regierungsamtlich gestreikt. Blockiert, auf Zeit gespielt, taktiert, statt das selbstgesteckte Konferenz-Motto zu erfüllen: »Es ist Zeit zu Handeln«. Kein neuer Klimaschutz, kein zusätzliches Geld für die Länder des Südens, dafür weniger Menschenrechte, weniger Frauenrechte, weniger Indigenenrechte beim Bau von Windkraftparks, Solarfarmen, Aufforstungen oder neuen Wasserkraftwerken. Stattdessen versuchen Länder wie die USA und China weiter, einen weltweiten Markt mit CO2-Zertifikaten durchzudrücken, der löchrig ist wie die Ozonschicht in den Achtzigern und die Energiewende zu Hause weiter in die Zukunft verschiebt.

Stadt unter
Eine neue Broschüre beschreibt das Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels auf den Meeresspiegel – und die Küstenmetropolen in aller Welt.

Noch sind die Regeln von Artikel 6 des Parisabkommens über die Marktmechanismen nicht zu Ende verhandelt. Es wird mit einer Verlängerung der Konferenz über Freitagabend hinaus gerechnet, vielleicht sogar bis Sonntag. Die Bundesregierung hat sich in Madrid jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert, zu abwartend, zu leise. Die nationalen Eigeninteressen werden hier von der Delegation vertreten, beklagt eine erfahrene Beobachterin, die seit Beginn der Klimaverhandlungen mit dabei ist. »Die Klimakrise lässt sich nicht mit Mathematik lösen, der einzige Weg zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens geht darüber, Kohle, Gas und Öl in der Erde zu lassen und nicht zu verbrennen«, kommentiert ein Konferenzteilnehmer aus Afrika den geplanten CO2-Ablasshandel.

Auch wenn die Vogel-Strauß-Taktik der Mächtigen ernüchtert: Die junge Klimabewegung muss die Zustände weiter zum Tanzen bringen, für Klimagerechtigkeit und unsere Zukunft. Für Deutschland heißt das: Wenn die Große Koalition weiter gegen die Mehrheit in den Klimastreik tritt und eine ganze Generation gegen die harte Wand der Macht laufen lässt, dann müssen die verantwortlichen Parteien an der Wahlurne bestraft werden. Die Entschlossenen unter den jungen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten sollten jetzt die großen Verursacher der Klimakrise ins Visier nehmen. Die Konzerne, die den Karren in den Dreck gefahren haben und damit jedes Jahr Milliarden von Euro Gewinn einstreichen, sind es, welche die Klimazeche zahlen müssen. Bringen wir ihnen die Rechung in die Konzernzentralen. ¡Basta, ya!

Lorenz Gösta Beutin ist Energie- und Klimapolitiker der Linken im Bundestag.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!