Erinnert, ermahnt, wiederholt und vertagt

Statt den Kampf gegen die Erderwärmung voranzutreiben, wurde der UN-Klimagipfel zur Abwehrschlacht für den Status quo

  • Christian Mihatsch, Madrid
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Klimakonferenz in Madrid kann mit einem Rekord aufwarten: Noch nie in der 25-jährigen Geschichte dieser Gipfel hat es länger gedauert bis zum Beginn des Abschlussplenums. Die UN-Großveranstaltung mit mehreren Zehntausend Teilnehmern aus fast 200 Ländern dauert nach offiziellem Zeitplan zwölf Tage und endet am Freitagnachmittag der zweiten Verhandlungswoche. Schon oft ging die Konferenz in die Verlängerung, wurde Freitag nachts oder auch am Sonnabend weiterverhandelt.

In Madrid begann das Abschlussplenum am Sonntag kurz vor zehn Uhr morgens. Nach fünf Minuten zeigte sich dann, dass die vielen Überstunden immer noch nicht zu einer Übereinkunft geführt hatten: Brasilien forderte die Streichung von zwei Paragrafen aus einem der Abschlussdokumente. Darin wurden die Sonderberichte des Weltklimarats IPCC zu Ozeanen und der Landnutzung erwähnt, in denen die Wissenschaftler massive Klimaschutzmaßnahmen anregen. Anschließend meldete sich rund ein Dutzend Länder, darunter sogar Saudi-Arabien, zu Wort und lehnte das brasilianische Ansinnen ab - mit einem Teilerfolg: Brasilien verlangte die Streichung des Paragrafen zu den Weltmeeren. Da die Konferenz in Madrid speziell den Ozeanen gewidmet war, stieß auch das auf Ablehnung. Schließlich ließ sich Brasilien erweichen und verzichtete darauf, das ganze Dokument abzulehnen. Noch nie zuvor wurde in einem Abschlussplenum des UN-Gipfels derart um einzelne, eher nachrangige Paragrafen gerungen.

Überraschend kam die Intervention Brasiliens aber nicht. Die Rechtsregierung hatte schon zu Beginn der Klimakonferenz signalisiert, als Störer auftreten zu wollen. Umweltminister Ricardo Salles war nach Madrid mit dem erklärten Ziel gereist, von dort mit zehn Milliarden Dollar zurückzukommen, weil Brasiliens Umweltpolitik »ein Vorbild für die Welt« sei. Außerdem wollte er erreichen, dass es Papiere über CO2-Minderungen gleichzeitig in Form von Zertifikaten ins Ausland verkaufen und auf das eigene Klimaziel anrechnen kann. Das Land scheiterte mit diesen Anliegen. Die Forderung nach zehn Milliarden Dollar wurde von anderen Delegationen von Anfang an als absurd abgetan. Die brasilianischen Vorstellungen zur Ausgestaltung neuer Kohlenstoffmärkte wurden hingegen lediglich vertagt. Die Regeln für diese waren eigentlich der wichtigste Punkt auf der Madrider Konferenzagenda - dass hier keine Einigung gelang, spricht Bände.

»Ich habe zum Glück ein dickes Fell«
Die junge Klimaaktivistin Alexandria Villaseñor demonstriert jeden Freitag vor dem UN-Hauptquartier in New York

Nun wird in einem Jahr bei der nächsten UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow weiter verhandelt. Das ist allerdings nicht unproblematisch: Dort müssen auch die letzten Details zum Berichtswesen über die Länderemissionen entschieden werden. Das ist zentral für die Überprüfung und Vergleichbarkeit der nationalen Emissionsminderungen, die für das Erreichen der Pariser Ziele zur Begrenzung der Erderwärmung entscheidend sind. Wenn 2020 in Glasgow sowohl über die Regeln für die Märkte als auch über die letzten Transparenzbestimmungen verhandelt werden muss, besteht die Gefahr, dass es zwischen beiden zu einem schlechten Kuhhandel kommt.

Der größte »Erfolg« von Madrid ist, dass der Inhalt des Paris-Abkommens von 2015 bestätigt wurde. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn das Abkommen ist längst in Kraft getreten. Das relevante Dokument in Madrid »erinnert« daran, dass die Länder regelmäßig neue Klimapläne beim UN-Klimasekretariat einreichen sollen, »ermahnt« zudem die Länder, dies zu tun, falls sie es versäumt haben, und »wiederholt«, dass die Klimapläne verständlich sein sollen. »Nach zweiwöchigen Verhandlungen werden die Länder wieder nicht dazu verpflichtet, ehrgeizigere Klimapläne vorzulegen«, beklagt Martin Kaiser, der Chef von Greenpeace Deutschland, das Ergebnis. »Dies zeigt, dass es hier einen Angriff auf das Herz des Paris-Abkommens gegeben hat.« Oder anders ausgedrückt: Die Konferenz in Madrid war eine Abwehrschlacht gegen Länder, die den Weltklimavertrag aufweichen wollten.

Die Blockademeister
Vor allem die USA, Brasilien und China bremsten die Verhandlungen in Madrid aus

Ein weiteres Thema, für viele arme Entwicklungsländer sogar das zentrale, waren »Verluste und Schäden« in Folge der Klimaerwärmung. Hierbei wurde in Madrid noch nicht einmal entschieden, in welchem Rahmen darüber weiterverhandelt werden soll. Ein Vertreter des Südsee-Inselstaates Tuvalu, dessen Existenz durch den Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist, stellte dazu fest, dies könne »als Verbrechen gegen die Menschlichkeit interpretiert werden«. Auch hierüber soll in Glasgow verhandelt werden.

Viele geben der chilenischen Verhandlungsleitung - das Land war Ausrichter der nach Madrid verlegten Konferenz - eine Mitschuld am schlechten Ergebnis: Sie habe zu sehr Rücksicht auf die Blockierer genommen. Katherine Kramer von der Hilfsorganisation Actionaid blickt nach vorne: »Großbritannien hat jetzt einige riesige Aufgabe, nächstes Jahr einen erfolgreichen Klimagipfel zu organisieren.« Dabei könne es aber nicht nur um die technischen Feinheiten gehen, die jetzt vertagt wurden. »Das nächste Jahr ist das Jahr der Wahrheit«, sagt Johan Rockström, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. »Wir müssen den Trend der Emissionen nach unten drehen.« Madrid war da keine Hilfe, aber auch kein Desaster.

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