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Syrien-Reisen sind kein Urlaub
Aras Bacho meint: Das Recht von Flüchtlingen, in die Heimat zu reisen, darf nicht wegdiskutiert werden.
Innenminister Horst Seehofer ist der prominenteste deutsche Politiker, der die Debatte über Abschiebungen nach Syrien angefeuert hat. Im Sommer schlug er vor, in Deutschland anerkannten Flüchtlingen aus Syrien das Asyl zu entziehen, wenn sie in der Heimat »Urlaub« machten. Doch Seehofer war längst nicht der Erste, der laut über diese Idee nachdachte: Schon 2016 sagte Armin Schuster (CDU), dass ein Recht auf Asyl für solche Flüchtlinge unvorstellbar sei. »Flüchtlinge machen Urlaub, wo sie angeblich verfolgt werden«, titelte damals die »Welt«, die sich als erstes Medium dem Thema widmete.
Seither wird die Idee, Flüchtlingen aus Syrien unter bestimmten Bedingungen das Asyl zu entziehen, immer wieder von konservativen Medien und Politiker*innen diskutiert. Als erstes Bundesland will das von der CDU regierte Sachsen syrische Flüchtlings-Urlauber*innen abschieben, sobald es keine menschenrechtlichen Verletzungen vor Ort mehr gäbe. Das kündigte der Innenminister des Freistaats, Roland Wöller, im Zuge der Innenministerkonferenz vergangene Woche an.
Aras Bacho ist 21 Jahre alt und lebt seit neun Jahren mit einem Asylstatus in Deutschland. Die Leidenschaft für das Schreiben entdeckte er vor drei Jahren. Immer wieder äußert er sich zu politischen Entwicklungen in Deutschland auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Problematisch an der Debatte ist das Wort »Urlaub«, denn es suggeriert eine falsche Vorstellung von dem, was Syrer*innen bei Heimatbesuchen tun. Tatsächlich machen sie keinen Urlaub, wie zum Beispiel in Aleppo am Strand liegen. Viele gehen für eine kurze Zeit zurück, um ein krankes Familienmitglied zu besuchen. Manche helfen bei der Ernte. Andere wollen sehen, ob das Haus in Ordnung ist. Natürlich gibt es auch einige, für die die Zeit im Heimatland Erholung bringen kann. Mit klassischem Urlaub hat ein Aufenthalt in Syrien aber dennoch nichts zu tun.
Ein weiteres Problem ist, dass der Anschein erweckt wird, als sei es unmoralisch oder falsch für Flüchtlinge, in die Heimat zu reisen. Dabei kennt das deutsche Recht Fälle, in denen Reisen in das Herkunftsland mit dem Asylstatus vereinbar sind. Zum Beispiel: Ein krankes Familienmitglied liegt im Sterben. Aufgrund der Debatte trauen sich Syrer*innen nicht mehr, offen über ihre Reisepläne zu sprechen. Manche aus meinem persönlichen Umfeld fliegen nur noch heimlich nach Syrien.
Politiker*innen, die Reisen von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer sanktionieren wollen, gefährden zudem die Menschenrechte. Die Syrer*innen, die ihre Heimat besuchen wollen, haben das Recht darauf. Sie dürfen nicht abgeschoben werden, nur weil es den Politiker*innen nicht gefällt oder nicht in ihr Weltbild passt. Auch Flüchtlinge haben das Recht auf ein glückliches Leben.
Nur weil man sich eine Zeit in Syrien aufhalten möchte, heißt es noch nicht, dass man dort auch wieder dauerhaft leben kann. Das Land ist immer noch größtenteils zerstört; türkische Truppen greifen in Nordsyrien die Kurden an; Assads Regime verfolgt weiterhin Oppositionelle; bei Angriffen von russischen oder US-Truppen werden nach wie vor Unschuldige getötet. Kein Mensch in Syrien ist in Sicherheit!
In der Debatte wird auch thematisiert, dass die Steuerzahler*innen für die Syrien-Reisen aufkommen müssen. Schließlich bekommen Flüchtlinge Leistungen der Agentur für Arbeit und das Kindergeld wird von der Familienkasse finanziert. Doch was ist falsch daran? Auch Menschen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, haben einen Urlaubsanspruch auf 21 Tage pro Jahr. Wenngleich es für manche Menschen nicht vorstellbar sein kann: Jede und jeder brauchen mal eine Auszeit. Die Bürokratie, um Hartz IV oder Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beantragen, kostet Nerven und Energie. Flüchtlinge sind sehr froh, dass sie hier in Deutschland sein können. Aber die Bürokratie und das Heimweh lassen sie dennoch leiden. Deswegen können Reisen in die Heimat auch helfen, sich in Deutschland wohler zu fühlen und sich besser zu integrieren.
Viele Menschen, die während des Krieges noch in Syrien waren und heute in Deutschland leben, haben traumatische Erinnerungen, die sie bewältigen müssen. Auch Politiker*innen sind der Meinung, dass Traumata psychisch behandelt werden müssen. Reisen in die Heimat können helfen, das Erlebte zu verarbeiten, um sich mit Angehörigen auszutauschen und wichtige Beziehungen zur Familie zu pflegen. Auch vor diesem Hintergrund sollten sie nicht in Frage gestellt werden. Leider bewegt sich die politische Debatte über Syrien-Reisen jedoch in eine andere Richtung.
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