»Fabrik im Chaos« stoppt die Produktion

Die unsicheren MAX-Maschinen von Boeing müssen weiter am Boden bleiben, der Konzern erlebt ein Fiasko

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Was wäre passiert, wenn …? Zugegeben, in den meisten Fällen ist das eine sinnlose Frage. Dennoch sei sie im Falle von Wilhelm Böing einmal gestellt. Was also wäre passiert, wenn der nur 22-jährige Bergbauingenieur 1868 kein Schiff in Richtung USA bestiegen hätte? Oder wenn er dort nicht die ebenfalls deutschstämmige Marie Ortmann getroffen hätte? Antwort: Es hätte nie diesen William Edward Boeing gegeben, der ein so genialer Flugzeugkonstrukteur wurde.

Seine Erfindungen gerieten sehr oft zu Meilensteinen des technischen Fortschritts. Weshalb der Name Boeing auch seit 1966 in der National Aviation Hall of Fame in Dayton (Ohio) prangt. Die Namen der Menschen, für die Boeings zivile wie militärische Entwicklungen zum Fluch wurden, sind zumeist in Grabsteine gemeißelt.

Über 340 Menschen verloren beispielsweise ihr Leben, weil sie in 737-MAX-Maschinen, hergestellt vom Boeing-Konzern, gestiegen sind. Der Typ, entwickelt als Zuwachs für die seit Jahrzehnten als zuverlässig bekannte B 737-Familie, sollte das Nonplusultra moderner Passagierfliegerei sein. Maschinen dieses Typs transportieren mehr Passagiere als bisherige Boeing-Mittelstreckenjets und sind so ökologisch wie kaum ein anderes Flugzeug dieser Art.

Dennoch: Zwei dieser Hightech-Wunder - eines flog für die indonesische Lion-Air, ein zweites für die Ethiopian-Airline - fielen im Oktober 2018 und im März 2019 in fast fabrikneuem Zustand vom Himmel. Der Grund: Fehler im sogenannten Maneuvering Characteristics Augmentation System, kurz MCAS. Nur widerwillig ordnete die US-Luftfahrtbehörde FAA daraufhin im März 2019 an, dass alle Maschinen dieser in verschiedenen Ausführen gebauten MAX-Serie am Boden bleiben müssen.

Trotz dieses Groundings produzierte Boeing weiter 737 MAX-Maschinen. 400 Stück, so sagt der Konzern, seien fertig. Nun sind alle Stellflächen, ja sogar Parkplätze voll.

Sehnsüchtig haben die Kunden darauf gewartet, endlich die schon in den Airlinefarben gespritzten Maschinen endlich übernehmen zu können. Doch noch immer gibt es daran Zweifel, ob sie funktionssicher sind. Daher entschied der Konzern zu Wochenbeginn: Ab Januar rollen keine neuen MAX-Maschinen mehr aus dem Werk bei Seattle. »Wir halten diese Entscheidung für die am wenigsten schädliche für die langfristige Stabilität der Produktion und Lieferkette«, so der Flugzeugbauer am Montagabend. »Momentan« seien aber keine Kündigungen geplant, sagte der Konzern, spricht dabei aber nicht für die zahlreichen Zulieferer, die nicht nur in den USA produzieren.

Der Konzern ist sich trotz intensiver Bemühungen bei der Softwareentwicklung darüber klar, dass die Genehmigungen für die Wiederinbetriebnahme des Flugzeugtyps noch eine Weile auf sich warten lassen. Auch seien umfangreiche Schulungen notwendig, denn man wolle sicherstellen, »dass unsere Aufsichtsbehörden, Kunden und die fliegende Öffentlichkeit Vertrauen in die 737-MAX-Updates haben«, so Boeing.

Das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Denn es geht nicht nur um die Überarbeitung einer Software. Der Konzern insgesamt steht auf dem Prüfstand. Zeitdruck und Überlastung seien bei der Produktion des neuen Jets zulasten von Qualität und Sicherheit gegangen, berichtete nicht nur Ed Pierson, ein Ex-Manager von Boeing. Er habe »eine Fabrik im Chaos erlebt«, bekräftigte er auch vor dem US-Kongress. Seine Bedenken seien von der Konzernführung jedoch ignoriert worden.

Logisch, denn die Boeing-Bosse wollten dem Dauerkonkurrenten Airbus die Luft abgraben. Der europäische Flugzeugbauer hatte ab 2010 eine Weiterentwicklung seiner bewährten A 320-Serie angekündigt, die in direkter Konkurrenz zu Boeings 737-Familie steht.

Mehrfach wurde der Verdacht laut, dass auch die für die Zulassung von Maschinen zuständige FAA nicht so genau hingeschaut hat. Nach dem Absturz der ersten MAX-Boeing im Oktober 2018 ließ die FAA errechnen, wie wahrscheinlich ein weiterer durch die MCAS-Software verursachter Unfall wäre. Ergebnis: Es könnte maximal alle drei Jahre eine solchen Katastrophe geschehen. Was offenbar niemanden schockte. Man ließ die MAX-Maschinen im Geschäft und riet dem Hersteller lediglich, die Software nachzubessern und bei Routinechecks in die Bordcomputer einzulesen.

Dumm nur, dass die Realität schneller war, als die Updateaktion. Nicht drei Jahre, sondern nur fünf Monate später stürzte die nächste MAX-Boeing ab.

Es ist derzeit nicht denkbar, dass diese Flieger jemals ein Verkaufsschlager werden. Als erste Airline hat die Garuda Indonesia - sie ist die Nr. 1 in Indonesien - ihre Bestellungen storniert. Bei diesem Minus von 49 Stück wird es nicht bleiben, denn: Welche Airlines hat schon Lust, ihre Kunden und das eigene Personal zum Vabanquespiel zu überreden?

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.