Sachsen-Kenia vor erster Prüfung

Michael Kretschmer stellt sich als Chef der Koalition aus CDU, Grünen und SPD zur Wahl

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Es war eine Binsenweisheit, die Michael Kretschmer vergangene Woche auf einem Parteitag der sächsischen CDU verkündete: »Wer regieren will, braucht die Hälfte der Abgeordneten plus eine Stimme.« Die CDU will im Freistaat regieren, so wie stets in den zurückliegenden 29 Jahren. Dass sie die Hälfte der Abgeordneten stellte, ist indes auch schon 15 Jahre her. Inzwischen ist die Zahl ihrer Mandate mit 45 so niedrig, dass sie mit Grünen und SPD erstmals zwei Koalitionspartner braucht. Drei Monate lang wurde über ein Bündnis verhandelt; der Vertrag nahm am Donnerstag die letzte Hürde, indem satte 93 Prozent der grünen Basis in einer Mitgliederbefragung ihren Segen erteilten. Bei der SPD lag die Zustimmung bei 75 Prozent. An diesem Freitag erlebt die Koalition nun ihre erste Bewährungsprobe: Im Landtag stellt sich Kretschmer zur Wahl als Ministerpräsident.

Zwar ist das formal eine Formsache: CDU, Grüne und SPD stellen zusammen 67 der 119 Abgeordneten; zur Wahl reichen 60 Stimmen. Doch vor allzu übertriebenen Erwartungen dürfte Kretschmer eine Erfahrung bewahren, die er vor zwei Jahren machen musste. Am 13. Dezember 2017 stellte sich der damals 42-Jährige zum ersten Mal der Wahl. Sein Vorgänger Stanislaw Tillich hatte sich wegen der Niederlage der sächsischen CDU gegen die AfD bei der Bundestagswahl verabschiedet und Kretschmer aufs Tapet gehoben, der gerade seinen Sitz im Bundestag gegen den Malermeister und heutigen AfD-Bundeschef Tino Chrupalla verloren hatte. Der Neue wurde zwar mit 69 Stimmen im ersten Wahlgang gewählt und erhielt sieben Stimmen mehr als nötig. Die Koalition aus CDU und SPD verfügte indes über 77 Mandate; acht Koalitionäre verweigerten ihm die Treue.

Immerhin blieb ihm die Demütigung einer Pleite im ersten Anlauf erspart, wie sie sein Vorvorgänger Georg Milbradt 2010 erlebte - und auch sein Parteifreund Reiner Haseloff, der sich im April 2016 in Sachsen-Anhalt als Chef der bundesweit ersten Koalition von CDU, SPD und Grünen zur Wahl stellte. Er erhielt zunächst nur 41 Stimmen, fünf weniger, als die Koalition Mandate hat. Als Grund galt der Unmut in der CDU über das ungeliebte Bündnis vor allem mit den Grünen. Weil Haseloff die Hürde im zweiten Anlauf nahm, kam die Kenia-Koalition dann doch in die Gänge; allerdings wurde und wird sie immer wieder von Krisen geschüttelt; aktuell wegen Neonazi-Verstrickungen eines CDU-Lokalpolitikers. Darauf, dass das Bündnis bis 2021 hält, wettet in Magdeburg niemand mehr.

Kretschmer gibt sich zuversichtlich, es besser machen zu können: In den Gesprächen mit Grünen und SPD seien »Vertrauen und Verlässlichkeit« entstanden, sagte er dem Parteitag. Der eigenen Basis suchte er das Bündnis mit der Feststellung schmackhaft zu machen, der Vertrag trage »eine klare Handschrift der CDU«. Allerdings hat diese nun auch in Sachsen das Agrarministerium an die Grünen abgetreten und musste weitere Kröten schlucken. Für Vertreter der Parteirechten klingt der Vertrag »in weiten Passagen rot-grün«; sie warnen, die CDU werde in dieser Koalition »nicht Wähler zurückgewinnen, sondern weitere verlieren«.

Mit Spannung wird daher erwartet, ob und, wenn ja, in welchem Umfang auch bei Kretschmers Wahl die Koalitionskritiker ihr Mütchen kühlen. Beim Beschluss über den Koalitionsvertrag votierten gut 30 der 214 Delegierten mit Nein, obwohl nicht geheim abgestimmt wurde, anders als nun im Landtag. Abgeordnete meldeten sich auf dem Parteitag nicht mit Kritik zu Wort; dass es sie unter den 45 Fraktionsmitgliedern gibt, steht zu vermuten. Immerhin: Selbst wenn einige Kretschmer die Stimme verweigern, kann diese nicht rechts außen landen - so wie 2010. Ein NPD-Mann holte damals gegen Milbradt jeweils zwei Stimmen mehr, als die Fraktion Abgeordnete hatte. Die AfD, die jetzt mit 38 Abgeordneten im Landtag sitzt, schickt indes keinen Gegenkandidat für Kretschmer ins Rennen.

Die grüne Kröte ist geschluckt
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Ist dieser gewählt, will er an diesem Freitag auch noch sein Kabinett vorstellen. Das besteht aus elf Ministerinnen und Ministern, davon je zwei von Grünen und SPD. Bei den Grünen gelten Katja Meier als Justizministerin und Wolfram Günther als Minister für Landwirtschaft und Umwelt als gesetzt. Die Sozialdemokraten nominierten Landeschef Martin Dulig, der Minister für Wirtschaft und Arbeit bleiben soll, sowie Petra Köpping, bisher ohne eigenen Geschäftsbereich für Gleichstellung zuständig und künftig Chefin des Sozialressorts. Bei der CDU soll, wie Kretschmer auf dem Parteitag mitteilte, der bisherige Agrarminister Thomas Schmidt das neu geschaffene »Ministerium für Strukturentwicklung, ländlichen Raum und Bauen« übernehmen; Ex-Sozialministerin Barbara Klepsch soll Ministerin für Kultur und Tourismus werden, jedoch so wie einst Köpping ohne eigenes Haus. Sie sitzt im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das wohl der bisherige Justizminister Sebastian Gemkow leiten soll. Ihm steht damit ein Spagat vor, tritt er doch gleichzeitig als CDU-Kandidat bei der Leipziger OB-Wahl in sechs Wochen an.

Weiter der Regierung angehören dürften auch die CDU-Politiker Christian Piwarz (bisher Kultus), Roland Wöller (Innenminister) und der Chef der Staatskanzlei Oliver Schenk. Aus freien Stücken verabschiedet hat sich Finanzminister Matthias Haß, der erst 2017 aus Berlin nach Dresden geholt worden war. Als Nachfolger gehandelt wird Hartmut Vorjohann, der von 2003 bis 2016 als Finanzbürgermeister im Rathaus von Dresden amtierte, seitdem aber »nur« noch für Bildung zuständig ist, weil der Posten an einen SPD-Politiker ging.

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