Zu viele Wahrheiten für einen Mord
Ein toter Georgier in Berlin, vier ausgewiesene Diplomaten und eine Anregung Putins, die Ost-West-Geheimdienstkooperation zu verbessern
Welche Wahrheit ist wahrer? Die von Moskau vertretene? Oder stimmt eher das, was in Berlin verlautbart wird? Eine absurde Frage? Stimmt, doch auf diesem Niveau bewegt sich inzwischen die Auseinandersetzung um den Mord an Zelimkhan Khangoshvili. Der Georgier war im August in Berlin von einem Auftragsmörder erschossen worden.
Lange hatte die Berliner Polizei ermittelt. Erfolglos, denn der mutmaßliche Mörder, ein Russe, schweigt. Da es von Beginn an zahlreiche Indizien gab, dass die Tat einen terroristischen Hintergrund hat, wäre die Bundesanwaltschaft gefordert gewesen. Doch sie übernahm erstaunlicherweise erst Anfang Dezember. Der politische Druck war da offenbar zu groß geworden. Sogar US-Medien hatten den Fall aufgegriffen. Sie übermittelten den deutschen Ermittlern »sachdienliche Hinweise«. Was etwas pikant ist, denn es gibt Hinweise, dass Khangoshvili auf der Gehaltsliste von US-Geheimdiensten stand.
Um den Druck zu steigern, gesellte sich das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat hinzu. Der russische Militärgeheimdienst GRU wurde als Auftraggeber des Mordes identifiziert. Ob zu Recht oder nicht - der Mordfall hat eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und Russland ausgelöst. Zuerst wies die Bundesregierung zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin aus, dann folgte der adäquate diplomatische Gegenschlag in Moskau.
Die russische Regierung wies alle Behauptungen über eine angebliche Verwicklung staatlicher Stellen zurück. Mehr noch. Moskau ging zum Angriff über. Auf einer Pressekonferenz nach dem jüngsten Treffen der sogenannten Normandie-Gruppe zur Ukraine-Krise in Paris behauptete Wladimir Putin, Moskau habe mehrfach Gesuche an Berlin gerichtet, um eine Auslieferung von Zelimkhan Khangoshvili zu erreichen. Deutschland habe nicht reagiert.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) bestritt, dass es ein Auslieferungsersuchen gegeben habe. Dabei wäre es durchaus gerechtfertig gewesen, denn glaubt man Putin, so hat Khangoshvili nicht nur in Tschetschenien gegen die Russen gekämpft. Er war auch an verheerenden islamistischen Bombenanschlägen unter anderem in Moskaus Metro vor rund neun Jahren beteiligt.
In Deutschland wird unter der Hand nur bestätigt, dass der russische Inlandsnachrichtendienst FSB mitgeteilt habe, dass Khangoshvili Kontakte zu Terroristen im Kaukasus unterhalte und Anhänger des »Kaukasischen Emirats« sei.
Während seiner alljährlichen großen Pressekonferenz erklärte Putin vor wenigen Tagen, Russland habe in der Tat keine offiziellen Gesuche zur Auslieferung des mutmaßlichen Terroristen gestellt. »Die Kommunikation lief auf geheimdienstlicher Ebene.« Was wahrscheinlich ist, da Deutschland sich aus, wie es heißt, Menschenrechtsgründen stets weigert, Tschetschenen an Moskau auszuliefern. Tatsächlich verwehrt man das, um die in Deutschland bestehenden, gewalterfahrenen tschetschenischen Strukturen nicht zu Aktionen herauszufordern. Putin bringt das auf den Punkt: »Ihr habt freilaufende Banditen in euren Städten.«
Was wohl die deutschen Behörden machen werden, wenn demnächst islamistische Kämpfer aus Syrien heimkehren, fragte er. »Lasst ihr sie auch so frei durch eure Städte spazieren?« Der dann folgende Wink mit dem Zaunpfahl erinnert sehr an Drohungen aus der Türkei. Putin betonte, dass in syrischen Gefangenenlagern neben Menschen aus Zentralasien und Russland auch eine große Anzahl aus Westeuropa, darunter aus Deutschland und Frankreich, sitzt. Dann streckte er die Hand aus: Damit sich solche »Terroristen« und »Mörder« demnächst nicht frei auf Straßen europäischer Städte bewegen können, sollten westliche Geheimdienste mit Russland besser kooperieren.
Das wären eigentlich genügend widerstreitende Wahrheiten. Nun fügte jedoch die Linksfraktionsabgeordnete Sevim Dagdelen eine weitere hinzu. Die Bundesregierung habe öffentlich immer wieder den Eindruck erweckt, dass die russische Justiz nicht kooperiere beim Versuch, den mutmaßlichen Mörder von Khangoshvili zu überführen. Deshalb seien die russischen Botschaftsmitglieder ausgewiesen worden. Tatsache jedoch ist: Deutschland hat bis zu diesem Zeitpunkt kein offizielles Rechtshilfeersuchen gestellt. Das, so Dagdelen, gehe aus einer entsprechenden Antwort der deutschen Regierung hervor.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.