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Sanktionen? Nur unter Bedingungen
Können Strafmaßnahmen Instrument der Friedenspolitik sein? Zumindest sollten sie den Dialog nicht verhindern
Internationale Sanktionen sind zwischen zivilen, gewaltfreien Mitteln der Konfliktbearbeitung und militärischen Maßnahmen einzuordnen. Sie sind Zwangsmaßnahmen, die in der Regel mit nichtmilitärischen Mitteln implementiert werden und ohne direkte militärische Gewalt auskommen, wobei es Ausnahmen gibt, bei denen Embargos mit militärischen Mitteln durchgesetzt wurden. Ein Beispiel dafür war das Waffenembargo gegen Jugoslawien bis zum Abschluss des Abkommen von Dayton 1995, bei dem die (West)Europäische Union (EU) und die NATO das Mittelmeer bzw. zeitweilig den Luftraum über Bosnien überwachten.
In diesem Beitrag wird die These vertreten, dass Sanktionen nicht grundsätzlich als Instrument der Friedenspolitik ausgeschlossen werden sollten. Insbesondere Waffenembargos, aber auch andere Sanktionen, können sinnvoll sein, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Bei den meisten der heute praktizierten Sanktionen muss allerdings festgestellt werden, dass sie eher konfliktverschärfend denn ein Beitrag zur Konfliktlösung sind.
Sanktionen sind in der Friedensbewegung wieder stärker in der Diskussion. Unilaterale Sanktionen, etwa das US-Embargo gegen Kuba, werden einhellig abgelehnt. Keine Zustimmung finden aber auch dem Völkerrecht entsprechende Sanktionen, wie die gegen den Irak Saddam Husseins, unter denen die Zivilbevölkerung massiv litt. Dennoch bleibt die Frage, ob aus dieser Kritik eine generelle Ablehnung jedweder Form von Sanktionen abgeleitet werden muss oder ob Sanktionen aus friedenspolitischer Sicht unter bestimmten Voraussetzungen doch eine Option sein können.
Zu diesem Thema führt die Zeitschrift »W & F« (Wissenschaft und Frieden) in ihrer jüngsten Ausgabe (4/2019) eine kontroverse Debatte. Im hier dokumentierten Beitrag erklärt Dr. Christine Schweitzer, Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung e.V, warum Sanktionen unter bestimmten Bedingungen eine politischen Option sein können. Die Gegenmeinung von Dr. Helmut Lohrer von der Vereinigung Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) folgt demnächst an dieser Stelle.
Zum Informieren und Weiterlesen:
wissenschaft-und-frieden.de
Sanktionen - negative und positive, mit dem bildlichen Ausdruck »Zuckerbrot und Peitsche« gut beschrieben - sind in der Politik ein gebräuchliches Mittel, um ein anderes Land zu einem gewünschten bzw. zur Unterlassung von nicht gewünschtem Verhalten zu bewegen. Bei den Vereinten Nationen gelten sie als zulässige Zwangsmaßnahme zur Durchsetzung völkerrechtlich bindender Abmachungen und zur Abwehr von Verstößen gegen das Völkerrecht (UN-Charta Kapitel VII, Artikel 41). Zurzeit bestehen Sanktionsregime des UN-Sicherheitsrats gegen 14 Staaten und Entitäten.
Aber nicht nur die Vereinten Nationen greifen zu diesem Mittel, die Europäische Union beispielsweise hat eigene Sanktionen gegen 33 Staaten und Entitäten verhängt. Die USA praktizieren außerdem einseitige Sanktionen gegen etliche weitere Länder, zum Beispiel gegen den Iran und Kuba. Auch wenn es stimmt, dass zumeist die Weltmächte Sanktionen gegen Länder mit weniger Macht verhängen, so trifft dies nicht in jedem Falle zu. Zum Beispiel verhängte Griechenland wegen des Namensstreits Sanktionen gegen die frühere jugoslawische Republik Mazedonien (heute: Nordmazedonien).
Sanktionen können unterschiedliche Maßnahmen umfassen. Besonders hervorzuheben sind Waffenembargos, Handelseinschränkungen für Im- und Exporte bestimmter oder aller Waren generell, Sperren von Fördermitteln (z.B. Mittel der Entwicklungszusammenarbeit von Deutschland für Brasilien wegen der Urwaldzerstörung), Einschränkungen des Reiseverkehrs (z.B. der USA gegenüber Kuba), Ausschluss von internationalen Veranstaltungen und internationalen politischen Gruppen (z.B. der Ausschluss von Russland aus der G8 wegen seiner Einmischung in der Ukraine), diplomatische Maßnahmen (z.B. Abzug von Botschaftern) und natürlich auch Strafverfolgung durch internationale Gerichte (Internationaler Strafgerichtshof). Im Rahmen so genannter »smarter Sanktionen« sind des weiteren Reisebeschränkungen und das Sperren von Auslandskonten bestimmter ausgewählter Politiker*innen oder Organisationen zu nennen.
Sanktionen hat es gewiss schon immer gegeben, seit es eine internationale Staatenwelt gibt. In jüngerer Zeit waren sie besonders in den 1990er Jahren ein sehr beliebtes Mittel. Weltweit wurden damals mehr als 50 neue uni- und multilaterale Sanktionen gegen einzelne Länder verhängt. Dies waren umfassende Sanktionen, die auf die gesamte Wirtschaft des Ziellandes zielten. Ihre Effektivität war sehr gering, sie verursachten aber enorme Kosten für die Zielländer und verschlechterten die humanitäre Situation der Bevölkerung gravierend (oft auch in den Nachbarländern).
Ein besonders drastisches Beispiel war der Irak unter Saddam Hussein, der von den Vereinten Nationen in den 1990er Jahren mit umfassenden Sanktionen belegt wurde. Als bekannt wurde, dass nach offiziellen Angaben der Vereinten Nationen in dieser Zeit infolge der ökonomischen Sanktionen mindestens 500 000 Kinder starben, veränderte sich die Sanktionspraxis. Die Vereinten Nationen gingen ebenso wie die EU zu »smarten« Sanktionen über. Diese sollen sich direkt gegen die Regierenden des sanktionierten Landes wenden (z.B. Waffenembargos, Reisebeschränkungen, Einfrieren von Konten, Flug- und Transportbeschränkungen) und die Bevölkerung möglichst von den Folgen aussparen. Letzteres gelingt allerdings nur sehr unvollkommen, wie in diesen Tagen anhand der Auswirkungen der Sanktionen gegen den Iran beobachtet werden kann. Trotz der Bemühungen, die Zivilbevölkerung von den Folgen zu verschonen, gehen dort z.B. die Medikamente aus.
Es sind aber nicht nur Staaten in diesem Feld aktiv. Auch zivilgesellschaftliche Verbände und Organisationen praktizieren Sanktionen. So kann das Startverbot für russische Sportler*innen bei den Olympischen Spielen wegen des Dopingskandals, verhängt vom Internationalen Olympischen Komitee, als Sanktion angesehen werden, da es über die Bestrafung konkreter, als Täter*innen überführter Personen hinausging.
Der Friedensbewegung näher sind sicher die bekannten Beispiele des Boykotts von Waren aus Südafrika während des Apartheidregimes, die mit der Forderung nach staatlichen Sanktionen einhergingen, die BDS-Kampagne, die zum Boykott von in den palästinensischen Gebieten von israelischen Firmen produzierten Waren und zu staatlichen Sanktionen gegen Israel aufruft, und die vielfältigen Forderungen nach einem Stopp von Rüstungsexporten in bestimmte Staaten (Aktion Aufschrei 2019).
Gerade Waffenembargos sind aus friedenspolitischer Sicht immer als sinnvoll zu erachten - allerdings gehören Waffenproduktion und -export eigentlich grundsätzlich verboten. Auch andere Formen internationaler Sanktionen werden immer wieder gefordert, in den letzten Jahren z.B. gegen die Türkei wegen des Kriegs in der Osttürkei.
Auf der anderen Seite haben sich Friedensorganisationen sehr kritisch gegenüber Sanktionsregimes gegen bestimmte Länder verhalten. Heute gibt es vor allem Forderungen in Bezug auf die Lockerung oder Aufhebung von Sanktionen gegen Russland und den Iran und viel generelle Kritik gegen die unilaterale Sanktionspolitik der USA (z.B. gegen Kuba).
Die kritische Sicht auf Sanktionen hat viel mit den allgemeinen Einwänden gegen dieses Instrument zu tun:
Wirkungslosigkeit: Ein Vorwurf, der in der Wissenschaft allerdings umstritten ist. Ein Teil der Untersuchungen über Sanktionen billigen ihnen zumindest unter bestimmten Umständen eine gewisse Wirksamkeit zu.
Effekt des »rally around the flag«: Sanktionen führen zur Stärkung autoritärer Regierungen, da die Demütigung der Regierung als Demütigung des ganzen Volkes empfunden wird.
Sanktionen verhindern oftmals den Dialog und erschweren dadurch die Zivile Konfliktbearbeitung; dies ist aufgrund des zuvor genannten Effekts der Fall und wenn eine Sanktion darin besteht, ein Land aus bestimmten Gesprächskontexten auszuschließen (G8, Europarat usw.), auch wenn Politiker*innen behaupten, Sanktionen und Dialog würden sich nicht ausschließen.
Sofern die Staatengemeinschaft uneins ist, werden internationale Spannungen durch Sanktionen eher verschärft. Die derzeitige Krise um den Iran zeigt dies deutlich.
Sanktionen können leicht umgangen werden (das gilt besonders für Waffenembargos).
Sanktionen ermutigen überdies den Aufbau von Eigenkapazitäten der betroffenen Länder und laufen dadurch mittelfristig ins Leere.
Sanktionen treffen die Zivilbevölkerung, deren Leiden am Beispiels Irak deutlich wurden und auch durch »smarte Sanktionen« nicht völlig vermieden werden.
Auch der Wirtschaft eines sanktionsverhängenden Staates wird Schaden zugefügt. Ein aktuelles Beispiel ist der Streit zwischen den USA und Deutschland um die russische Erdgaspipeline. Da Deutschland die Pipeline braucht und auf dieses Geschäft nicht verzichten will, lehnt die Bundesregierung es ab, sich den US-Strafmaßnahmen anzuschließen.
Oft fehlen konkrete Analysen und die Definition von Zielen, sondern Sanktionen werden verhängt, um Missbilligung auszudrücken oder der Öffentlichkeit zu zeigen, dass »man etwas tut«.
Waffenembargos können einer Seite einen kriegsentscheidenden Vorteil verschaffen, falls sie gegen alle Seiten verhängt werden. (Dieser Vorwurf wurde in der Zeit des Bosnienkriegs 1992 - 1995 erhoben, als Bosnien, das immer noch als Teil Jugoslawiens angesehen wurde, ebenfalls unter das Waffenembargo fiel und deshalb militärisch den serbischen Truppen unterlegen war, die Zugriff auf die Ausrüstung der Volksarmee hatten.)
Es scheint viel leichter, Sanktionen zu verhängen, als sie wieder aufzuheben.
Abschließend möchte ich einige Kriterien vorschlagen, die zur Bewertung von Sanktionen als Mittel der Friedenspolitik angewendet werden könnten:
Die Vereinten Nationen sollten der einzige Akteur sein, der Sanktionen verhängen darf.
Es darf nicht zu »Kollateralschäden« für die Zivilbevölkerung des betroffenen Landes kommen.
Es bedarf der Formulierung einer klaren »Theorie des Wandels«, d.h. einer Analyse, was die Sanktionen bewirken können.
Es bedarf zudem einer klar formulierte »exit strategy«, d.h. der Klarheit darüber, wann und wie die Sanktionen auch wieder aufgehoben werden sollen.
Es muss für beide Seiten ein gesichtswahrender Ausstieg aus der Krisensituation möglich sein.
Es muss vorab geklärt werden, ob positive Sanktionen ebenso zum gewünschten Ergebnis führen würden.
Es dürfen keine Maßnahmen ergriffen werden, die ein schleichendes Abrutschen in eine Militärintervention befürchten lassen.
Die Maßnahmen dürfen den Dialog nicht verhindern oder erschweren. Der Dialog muss bei Konflikten intensiviert, nicht gestoppt werden. Wichtig ist z.B., die diplomatischen Beziehungen aufrechtzuerhalten.
Über Sanktionen, die im Gegensatz zu der Mehrzahl der derzeit praktizierten diese Kriterien erfüllen, lohnt es sich für die Friedensbewegung nachzudenken. Das gilt besonders für Waffenembargos.
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