Venezuelas gespaltenes Parlament

Abgeordnete wählen mit Luis Parra einen neuen Vorsitzenden und brüskieren Oppositionsführer Juan Guaidó

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Mal Anspruch auf Venezuelas Präsidentenamt gab es schon: Venezuelas gewählter Präsident Nicolás Maduro wird seit dem 23. Januar 2019 vom selbst ernannten Präsidenten Juan Guaidó herausgefordert. Seit Sonntag erheben nun auch zwei Politiker gleichzeitig Anspruch auf den Parlamentsvorsitz - einer davon ist Juan Guaidó. Er scheiterte am Morgen des 5. Januar zunächst damit, sich in dem Amt, das er seit einem Jahr innehatte, bestätigen zu lassen. Stattdessen wählten in einer chaotischen Sitzung die anwesenden Abgeordneten den abtrünnigen Oppositionellen Luis Parra an die Spitze der Legislative. Dieser kritisierte, Guaidó habe Venezuela in »eine Sackgasse« geführt und kündigte ein Ende der Konfrontationspolitik an.

Da Guaidó seinen Anspruch auf die Interimspräsidentschaft rechtlich vom Parlamentsvorsitz ableitet, ist dieser Posten für ihn entscheidend. In einer von Tumulten begleiteten Abstimmung entfielen auf Parra 81 Stimmen. Anwesend waren laut unterschiedlichen Quellen etwa 150 Abgeordnete. Die venezolanische Nationalversammlung hat 167 Sitze, von denen mehrere aufgrund von Suspendierungen zurzeit nicht besetzt sind. Neben den 50 Abgeordneten der regierenden Vereinten Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) müssten demnach 31 Oppositionelle für Parra gestimmt haben.

Die Militarisierung des Eingangsbereiches des Parlamentsgebäudes hatte den Ablauf der Sitzung am Sonntag erheblich behindert. Guaidó behauptete, dass er sowie weitere Oppositionelle nicht zum Parlamentsgebäude im Zentrum der Hauptstadt Caracas vorgelassen worden seien. Videoaufnahmen zeigen jedoch, dass er das Parlament hätte, betreten dürfen. Doch bestand er gegenüber den dort postierten Nationalgardisten darauf, dass ihn fünf suspendierte Abgeordnete begleiten. Dass er dann medienwirksam versuchte, über den Zaun zu klettern, verschaffte ihm die Bilder, die er anscheinend haben wollte.

Am späten Nachmittag ließ sich Guaidó in den Redaktionsräumen der oppositionellen Zeitung »El Nacional« mit angeblich 100 Stimmen selbst zum Parlamentsvorsitzenden wählen. Sofern beide Ergebnisse stimmen, müssten einige Abgeordnete an beiden Abstimmungen teilgenommen und für beide Kandidaten gestimmt haben. »Wir haben die Erwartungen überhöht, aber dürfen die Hoffnung nicht verlieren«, gab sich Guaidó in seiner Rede selbstkritisch und sprach sich vehement für die Einheit der Opposition aus.

Die bereits seit Monaten bestehende Spaltung der Opposition trat am Sonntag offen zutage. Schon seit Längerem gab es Unzufriedenheit mit Guaidós Kurs, der nach knapp einem Jahr als selbst ernannter Interimspräsident keine handfesten Erfolge vorweisen kann. Um künftig über den internen Konflikten zu stehen, legte Guaidó nun die Mitgliedschaft in seiner Partei Voluntad Popular auf Eis.

Der konkurrierende Parlamentsvorsitzende Luis Parra gehörte bis Dezember der rechten Oppositionspartei Primero Justicia an. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren des Korruptionsskandals, den die Rechercheplattform armando.info am 1. Dezember aufgedeckt hatte. Als einer von neun oppositionellen Abgeordneten soll er regierungsnahen Geschäftsleuten dabei geholfen haben, für das Lebensmittelprogramm der Regierung US-Sanktionen zu umgehen.

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Voraussichtlich wird das regierungstreue Oberste Gericht (TSJ) Guaidós Wiederwahl nicht anerkennen, Präsident Nicolás Maduro stellte sich bereits hinter Parra. Doch es geht im venezolanischen Konflikt schon lange nicht mehr um die korrekte Einhaltung von Formalitäten, sondern darum, wer in der Lage ist, seine Verfassungsinterpretation durchzusetzen. Durch die neue Runde im Machtkampf droht die Regierung Maduro weiter an internationaler Unterstützung zu verlieren. Selbst befreundete Regierungen wie die argentinische und mexikanische kritisierten die Militarisierung des Parlamentsgebäudes.

Die Opposition wiederum könnte bald innerhalb Venezuelas auch noch ihre letzte institutionelle Bastion verlieren und noch abhängiger von der US-Regierung werden. Denn wahrscheinlich wird die regulär für Ende des Jahres vorgesehenen Parlamentswahl nun vorgezogen. Aufgrund der Spaltung der Opposition könnte die Regierung dann womöglich triumphieren. Eine politische Lösung, die die Aufhebung der US-Sanktionen und die zwischen den Konfliktparteien ausgehandelte Neuwahl aller politischer Gewalten beinhalten müsste, scheint in noch weitere Ferne gerückt zu sein.

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