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- Antisemitismus und Islamophobie
Reinheit ist keine Option
Felix Axster plädiert für eine Rassismus-sensible Antisemitismusforschung.
In seiner Antrittsvorlesung von 1982 äußerte Herbert A. Strauss, der erste Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin, die Hoffnung, dass durch Forschungen zum Antisemitismus »neue Einsichten für das Verständnis zum Beispiel auch der Gastarbeiterminderheiten in den westlichen Industrieländern gewonnen werden können«. Als Wolfgang Benz, der Strauss als Leiter ablöste, 2008 die Tagung »Feindbild Muslim - Feindbild Jude« organisierte, vollzog er also keineswegs eine Wende, wie Thomas Thiel kürzlich in der »FAZ« unterstellte.
Vielmehr aktualisierte er, was von Anfang an programmatisch angelegt war: das In-Beziehung-Setzen von Antisemitismus und Antisemitismusforschung zu anderen Formen von Ausgrenzung. Ein Ansatz, der Thiel offenbar nicht behagt. Sein gleichermaßen denunziatorischer wie verschwörungstheoretischer Rundumschlag jedenfalls, der wesentlich auf dem Prinzip der Kontaktschuld basiert, scheint auch von diesem Unbehagen motiviert zu sein.
Im Mittelpunkt steht Yasemin Shooman: Sie habe als Mitarbeiterin von Benz, der sie mit einer Arbeit zum antimuslimischen Rassismus promovierte, an der vermeintlichen Wende mitgewirkt. Zudem sei das Jüdische Museum Berlin (JM), dessen Akademie Shooman bis vor Kurzem leitete, zu einem Forum für die Israel-Boykott-Bewegung BDS mutiert, vor allem aufgrund der Tagung »Living with Islamophobia« im Oktober 2018.
Rassismusforschung und BDS unterwandern Institutionen wie ZfA und JM? Bezeichnend ist, wie Thiel Rassismus bagatellisiert: Die Forschung zum antimuslimischen Rassismus sei eine Pseudowissenschaft, deren Agenda die Legitimierung von Islamismus sowie die Relativierung von Antisemitismus sei. Rassismus und Rassismustheorie werden von den Füßen auf den Kopf gestellt: »Wer von antimuslimischem Rassismus spricht, erkennt Muslimen die Möglichkeit ab, über ihre religiöse Zugehörigkeit frei zu entscheiden.« Umgekehrt wird ein Schuh draus: Im Zuge des antimuslimischen Rassismus werden Menschen als Muslime markiert. Das ausgrenzende Potenzial dieser Markierungspraxis zeigt sich, wenn behauptet wird, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.
Thiel zufolge hat die Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus weder am ZfA noch am JM etwas verloren. Mit diesem Reinheitsimperativ ist er nicht allein. Vor vier Wochen forderte Samuel Salzborn in der »taz«, Antisemitismus nicht »als einen Spiegelstrich neben anderen Formen von Diskriminierung« misszuverstehen. In dem Artikel geht es um den Anschlag von Halle, der, weil eine Synagoge und ein Dönerimbiss Zielobjekte waren, die Verflechtungen zwischen Antisemitismus und Rassismus aufzeigt. Dies gilt auch für die Ideologie des »Großen Austausches«, die den Anschlag rahmte.
Zudem ließen sich mit Blick auf diese Ideologie Unterschiede zwischen Antisemitismus und Rassismus bestimmen: Juden werden als machtvolle Weltenlenker imaginiert, die einen geheimen Plan aushecken, der von Muslimen umgesetzt wird. Bei Salzborn ist von derlei Zusammenhängen keine Rede. Und so läuft seine Kritik, dass die deutsche Politik mit Gleichgültigkeit auf den Anschlag reagiert habe, ins Leere. Es entsteht nämlich der Eindruck, als ob die Gleichgültigkeit nach Halle eine Besonderheit im Umgang mit Antisemitismus wäre. Ausgeblendet wird, dass rechte Anschläge schon seit Jahren und Jahrzehnten zur Normalität in diesem Land gehören.
Eine Anmaßung, die häufig mit dem Reinheitsimperativ einhergeht, brachten vor einigen Tagen Clemens Heni und Michael Kreutz im »Tagesspiegel« auf den Punkt. Sie attestieren Thiel, dass sein Artikel den Forschungsstand zu BDS sowie zum Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus treffend resümiere. Mal abgesehen davon, dass es in dem Artikel gar nicht darum geht - die diesbezügliche Forschung ist in hohem Maße divers. Diese Diversität zu übergehen und einen Konsens zu behaupten zeugt von Ignoranz und Unaufrichtigkeit.
Angesichts von rechtem Terror steht die Frage nach Bündnispolitik verstärkt im Raum. Für diese braucht es Empathie und solidarische Kritik. Der Reinheitsimperativ hingegen bewirkt das Gegenteil. Er negiert die gemischten Konstellationen, in denen Antisemitismus und Rassismus häufig auftreten. Und er läuft auf eine Hierarchisierung von Antisemitismus gegenüber Rassismus hinaus. Somit leistet er dem Vorschub, was gemeinhin als Opferkonkurrenz bezeichnet wird.
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