Der Konsum der Anderen

Im Kampf gegen Drogen geht es auch um Kontrolle.

  • Lidia Polito
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Prohibition in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts verfehlte weitestgehend ihren Zweck. Nicht weniger, sondern mehr Menschen starben an den Folgen des Konsums. Trotzdem führten die Erfahrungen mit der Prohibition nicht zu einer liberalen Drogenpolitik, sondern ganz im Gegenteil: In den USA begann ein War on Drugs (Krieg gegen Drogen), der spätestens in den 70er Jahren zum geflügelten Wort wurde. Damit einher ging ein erbitterter Kampf gegen die Konsumenten. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich in dieser strikten Drogenverbotspolitik mitnichten die Sorge um die Konsumenten ausdrückte. Sie war vielmehr Zeugnis eines ganz anderen Motivs, das getragen war von rassistischen Stereotypen.

Die Ängste und Sorgen, die ein Großteil unserer Gesellschaft heute mit illegalen Drogen wie Heroin, Ecstasy oder Kokain verbindet, sind weniger das Produkt evidenter Fakten und Erfahrungen als ein Resultat gezielter Stimmungsmache. Der britische Journalist Johann Hari veröffentlichte 2016 seine Recherchen über den War on Drugs in seinem Buch »Chasing the scream« (dt: Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges). Und machte klar: Nicht die Konsumenten oder die Substanzen sollten wir in Frage stellen, sondern auf welcher Basis unser Verständnis davon fußt.

Denn diese Basis wurde von Personen geschaffen, die ein Interesse daran hatten, das Bild einer bestimmten Konsumentengruppe zu schaffen, um sie zu kriminalisieren. Eine der Personen, die maßgeblich daran beteiligt war, dieses Bild zu zeichnen, war Harry Anslinger, der Vorsitzende des Federal Bureau of Narcotics (Bundesamt für Betäubungsmittel, FBN), das 1930 gegründet wurde und auf das Bureau of Prohibition (Amt für Prohibition) folgte. Als die Prohibition aufgehoben wurde, benötigte das FBN ein neues Feindbild und eine neue Aufgabe. Anslinger schaffte es in Perfektion, die tiefsten Ängste der amerikanischen Kultur vor Minderheiten, Vergiftung und Kontrollverlust zu kanalisieren, und eine Drogenpolitik zu begründen, die nicht nur die USA bis heute formen sollte.

Bevor Heroin und Kokain mit dem Harrison Act 1914 verboten wurden, waren die Substanzen in Form von Hustensaft, Nasenspray und eines sehr beliebten Softgetränks erhältlich. Sie wurden in nur sehr kleinen Dosierungen verkauft, und es gab weniger Tote durch Überdosierungen als nach Erwirken des Verbots. Dealer, die jederzeit erwischt werden konnten, transportierten immer die größtmögliche Konzentration der Substanz; so wie es während der Prohibition kaum Bier gab, aber ein hochkonzentriertes Getränk namens Moonshine mit einem Alkoholgehalt von 70 Prozent, das nach der Prohibition sofort verschwand und heute kaum mehr bekannt ist.

Um die Existenz des FBN auch nach dem Misserfolg der Prohibition zu legitimieren, reichte es nicht aus, Heroin- und Kokainkonsumenten zu verfolgen. So geriet auch Cannabis ins Visier. In einem Artikel der »New York Times« aus dem Jahr 1927 heißt es, eine mexikanische Familie sei nach dem Verzehr von Marihuanapflanzen verrückt geworden. Anslinger, der früher die Annahme, Cannabis fördere Gewaltdelikte, als »absurden Trugschluss« zurückgewiesen hatte, änderte quasi über Nacht seine Meinung, als er zu beobachten meinte, dass Mexikaner und Afroamerikaner zu den Hauptkonsumenten dieser Droge gehörten. Er verbreitete die Auffassung, Cannabis treibe Menschen in den Wahnsinn, insbesondere Menschen »niedrigerer Rassen«. In seinen Aufzeichnungen, die Hari durchforstet hat, finden sich einige Briefe von Wissenschaftlern, die diese Thesen als unhaltbar und die Presseberichte als falsch bezeichnen. Nur ein einziger der dreißig Mediziner, die Anslinger zu den Risiken von Cannabis befragte, pflichtete ihm bei. Doch das genügte Anslinger als Evidenz. Er befeuerte die Medien mit Fällen, in denen die Täter vermeintlich durch Cannabis und andere Drogen zu ihren Taten getrieben worden - und stets Schwarze oder Angehörige anderer Minderheiten waren. Und er streute Gerüchte, etwa dass Kokain Schwarze in »unbändige Hulks« verwandeln würde oder dass Cannabis sie »die angemessenen, rassischen Grenzen vergessen lassen - und ihre Lust für weiße Frauen entfesseln« würde.

Besser als gar kein Alkohol
Die Prohibition zwischen 1920 und 1933 bescherte den USA vor allem Steuerausfälle und stärkte die organisierte Kriminalität.

Sieht man sich diese Fälle und die entsprechenden psychiatrischen Gutachten genauer an, stellt man fest, dass die Droge nie der eigentliche Auslöser für die Taten war. Immer hatte schon vor dem Konsum eine psychische Störung oder eine prekäre Lebenssituation bestanden. Anslinger ignorierte nicht nur diese Fakten, sondern ging auch aktiv gegen Kritiker vor.

Viele Amerikaner wollten nicht glauben, dass Schwarze oder andere Minderheiten rebellieren, aufbegehren, weil sie in erbärmliche Lebenssituationen gezwängt wurden. Es war viel angenehmer zu glauben, ein bisschen weißes Pulver oder getrocknete Blüten seien daran schuld, und man müsste nur das loswerden, dann würden sie wieder ruhig. Anslinger fand damit eine Erklärung, die der Großteil der Bevölkerung gerne glauben wollte.

Doch obwohl er alle Drogen verbannte und Konsumenten mit Schärfe verfolgte, ging seine Taktik nicht auf. Die USA wurden kein drogenfreies Paradies. Wenig später fand Anslinger ein neues Feindbild: die Kommunisten. Völlig ohne Beweise sprach er vom »kommunistischen Heroin«, das von China direkt in die Venen der Amerikaner gelange.

Ähnlich wie die Prohibition war auch der War on Drugs gegen den Konsum der Anderen gerichtet. Er führte nicht zu einer Verringerung des Konsums, sondern zu einer Kriminalisierung der Konsumenten.

»Es ist ein natürlicher Instinkt des Menschen, seine Ängste in Symbole zu verwandeln und schließlich diese Symbole zu zerstören, in der Hoffnung, damit seine Ängste zu zerstören«, schreibt Johann Hari in seinem Buch. Verbote mögen in einigen Menschen das Gefühl auslösen, endlich Kontrolle zurückzugewinnen, doch im Kampf gegen die Drogen haben sie lediglich die Kontrolle in die falschen Hände abgegeben.

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