- Politik
- Grüne
Bürgerliche Geschmeidigkeit
Anmerkungen zu einer beliebten Etikettierung der Grünen.
Es sei »unbürgerlich, sich selbst zu loben - und sei es als bürgerlich«, meinte unlängst der Publizist Nils Minkmar. Es war die Zeit, in der darüber gestritten wurde, ob die rechtsradikale AfD für sich in Anspruch nehmen dürfe, »bürgerlich« zu sein. Von verschiedenen Seiten wurde »das Bürgerliche« verteidigt, angegriffen, für sich beansprucht oder gänzlich als verbrauchter Begriff infrage gestellt.
Schon länger ist in linken Kreisen eine Art Umkehrung des Minkmarschen Diktums populär, nämlich: andere als »bürgerlich« hinzustellen, was dann als Höhepunkt der Kritik gilt. Und so wird auch gern den Grünen nachgesungen, sie seien ja längst eine »bürgerliche Partei« geworden. Gerade hat dies mit Jutta Ditfurth eine der früheren (und besseren) Vorsitzenden ihrer Ex-Partei beschieden. Von links wurde sogar schon die Behauptung aufgestellt, bei AfD und Ökopartei sei »das Bürgertum unter sich«.
Aber was ist der Maßstab für so ein Verdikt, was ist eigentlich die Frage, die solche Antworten hervorbringt? Man könnte vielleicht drei Varianten unterscheiden. Die erste hat etwas mit Enttäuschung und einem Verständnis grüner Geschichte zu tun, in der vor allem die linken Aspekte groß geschrieben werden. Dass die Partei heute anders dasteht als 1980, ist unverkennbar. Und was an Wandlungen durchgemacht wurde, ist für jene, die einen anderen Weg wollten, verständlicherweise ablehnungswürdig. Als Kategorie der Kritik sollte man den Begriff »bürgerlich« hier aber nicht verstehen. Es handelt sich eher um eine bestimmte Weise, Enttäuschung zu betonen. Ein bisschen wie in: Die Grünen gehören ja längst zum Establishment, wohin wir doch nie wollten!
Die zweite Variante ist mit der ersten weitläufig verwandt: Der Vorwurf, die Grünen seien »bürgerlich«, dient hier vor allem der Abgrenzung zu ihnen und einer Selbstaufwertung als, tja: eben nicht so »bürgerlich«. Was immer das bedeutet, es soll wohl heißen: besser. Gern gepflegt wird solcherlei Rhetorik in Linkspartei und SPD, die hier eine auf die Herzen zielende Botschaft senden wollen: Die Grünen sind nicht mehr richtig links, betreiben eine Politik für die Interessen der Falschen, kommt also lieber zu uns! Oft geht es auch darum, den Grünen ihre bündnispolitische Geschmeidigkeit gegenüber Parteien vorzuhalten, die man ebenfalls als »bürgerlich« zu bezeichnen pflegt.
Eine dritte Variante könnte »empirisch verkleidetes Klischee« genannt werden: »Der Grünen-Wähler ist meist bürgerlich und gehört zur Mittelschicht.« Nicht nur dieses aus der »Tageszeitung« stammende Zitat versichert sich mit Zahlen. Die sind meist schon etwas älter, und das »Siehste!« kommt regelmäßig an der Stelle, wo darauf verwiesen wird, dass der Anteil von Arbeiter*innen unter den Grünen-Wählern nicht sehr hoch ist.
Man könnte ein paar Probleme bei der Begründung für Variante drei sehen. Zum Beispiel haben sich Wähler- wie Anhängerschaft der Partei gerade in den letzten beiden Jahren unter dem Eindruck eines enormen Zustroms - von 65 000 Ende 2017 auf etwa 95 000 Ende 2019 - stark verändert. Schon vor einem Jahr rechnete Bundesgeschäftsführer Michael Kellner vor, »bei Arbeitslosen zum Beispiel sind wir mit 17 Prozent drittstärkste Kraft, auch bei Gewerkschaftsmitgliedern legen wir zu«. Die Grünen gewinnen nicht nur wie früher in Städten, sondern werden auch »in einigen ländlich geprägten Gebieten« stark, Kellner nannte zudem die Erfolge »in ehemaligen Arbeiterstädten wie Dortmund«.
Natürlich lassen sich auch Daten anführen, die in die andere Richtung weisen. Nach den Landtagswahlen in Bayern im Herbst 2018 etwa, bei der die Grünen zweitstärkste Kraft wurden, konnte man sehen: In Gegenden mit sehr hohen Einkommen lagen die Grünen über dem Landesschnitt, in denen mit niedrigen Einkommen deutlich darunter.
Die Frage ist: Kann man aus der Tatsache, dass eine Partei mehr als andere von Besserverdienenden gewählt wird, irgendetwas über deren »Bürgerlichkeit« ableiten? Eher dürfte eine solche Etikettierung der Grünen die Denunzierung der Ökologie als Luxusthema erleichtern. Dabei bilden sich bisweilen eigenartige Koalitionen der »Kritik« - gegen »Hypermoral«, ökologische Hochnäsigkeit und Klimaschutz als Angelegenheit von Leuten, die es sich ja ohnehin leisten können.
Doch die Betonung, es seien gerade die Grünen »bürgerlich«, bringt etwas anderes zum Verschwinden: dass die wahren »Parteien der Besserverdienenden« laut den vorliegenden Zahlen doch eher Union und FDP sind. Übrigens, wer sein Urteil, die Grünen seien »bürgerlich«, gern auf die Einkommen der Anhängerschaft stützt, dem seien zumindest einmal diese Zahlen von 2015 genannt: Damals hatten nur fünf Prozent der Grünen-Anhänger*innen ein Spitzeneinkommen ab 5000 Euro - genauso viele wie unter den Wählerschaften von SPD und Linkspartei. Vielleicht sind letztere deshalb noch nicht »bürgerlich«, aber sie sind sicher auch nicht »proletarisch«.
Apropos Proletariat. Beim ollen Karl Marx hatten die Begriffe noch eine scharfe Kante. Es wurde der Bourgeois, der Besitzbürger, Kapitalist und Aneigner fremder Arbeit, vom Citoyen, vom Staatsbürger, unterschieden. Das eine ist eine ökonomische Statusbezeichnung für Verhältnisse, die von links zurecht kritisiert werden. Das andere ein politisches Ideal, dessen Vervollkommnung in der demokratischen Wirklichkeit auch eine Angelegenheit der Linken sein sollte.
Vielleicht wäre es also besser, den »begrifflichen Joker« (Gustav Seibt) ganz fallen zu lassen. Dann ist mehr Zeit, über die Motive derer nachzudenken, die damit Grünen-Kritik anstellen wollen. Wer entscheidet eigentlich, was »richtig links« sein darf und also nicht »bürgerlich« wäre? Ist die Zustimmung zu mehr Klimaschutz schlechter, wenn das auch Leute mit höheren Einkommen so sehen? Wäre eine grüne Partei, in deren Anhängerschaft sich mehr Arbeiterklasse finden ließe, schon allein deshalb eine bessere? Nicht zuletzt: Was hieße all das für politische Akteure, ihre Ziele und die Bündnismöglichkeiten, die gerne andere Parteien, zumal die Grünen, als »bürgerlich« bezeichnen?
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.