Verfassungsrechtlich strittig
Doppelbesteuerung der Rentner
Der wunde Punkt: Künftige Rentnergenerationen müssten mit einer Doppelbesteuerung rechnen. Das hat erhebliche Sprengkraft und dürfte zu einigen Veränderungen der Rentenreform führen.
Aussage des BFH-Richters mit Sprengkraft
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hofft auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs zur Besteuerung von Renten. Die Organisation unterstützt die Klage eines Ruheständlers vor dem Bundesfinanzhof. Der BdSt kritisiert Fälle, bei denen Beiträge in eine Altersvorsorge aus bereits versteuerten Einkommen eingezahlt und bei der Auszahlung die Rente erneut besteuert werden. AFP/nd
»Es bedarf keiner komplizierten mathematischen Übungen, um bei Angehörigen der heute mittleren Generation, die um 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen.« Das ist einer der zentralen Sätze von Egmont Kulosa, den die »Süddeutsche Zeitung« unlängst veröffentlichte. Kulosa ist Richter am höchsten Finanzgericht, dem Bundesfinanzhof in München. Er gehört dem 10. Senat an. Alterseinkünfte und Altersvorsorge sind sein Fachgebiet. Kulosa soll dies in einem Beitrag für einen Fachdienst für Steuerberater und Juristen geschrieben haben.
Umstellung auf die »nach- gelagerte Besteuerung«
Zum Hintergrund: Grundmerkmal der Rentenreform von 2005 ist die schrittweise Einführung der sogenannten »nachgelagerten Besteuerung«. Das heißt: Zunehmend werden die Rentenzahlungen besteuert, parallel dazu sind die Beiträge zur Altersvorsorge zunehmend steuerfrei. Eine Doppelbesteuerung solle es nicht geben. Das versichert auch die gegenwärtige Bundesregierung.
Kulosa setzt mit seinen Bedenken an den Geschwindigkeiten an, mit denen die Veränderungen durchgeführt werden. Die Steuerbefreiung der Altersvorsorgebeiträge geht in Stufen seit 2005 voran und ist 2025 abgeschlossen. Bis 2005 wirkten sich 60 Prozent der vor allem von Arbeitnehmern gezahlten Rentenversicherungsbeiträge steuermindernd aus. 2015 waren es 80 Prozent, 2020 werden 90 Prozent und 2025 100 Prozent die Steuern mindern.
Die Besteuerung der Renten entwickelt sich über einen längeren Zeitraum. Bei der Einführung im Jahr 2005 mussten nur 50 Prozent der Rente versteuert werden. Am Ende der Umstellung im Jahr 2040 liegt der Anteil der zu versteuernden Rente bei 100 Prozent.
Wer also 2040 in Rente geht und 100 Prozent der Rente versteuern muss, der konnte jedoch nur 15 Jahre lang die Beiträge auch voll von der Steuer absetzen, argumentiert der BFH-Richter Kulosa. Für die übrigen Berufsjahre musste er zumindest in Teilen Steuern zahlen. In diesen Fällen liege eine Doppelbesteuerung vor, die außerdem verfassungswidrig sei. Dies würde dann auch Rentner in Berlin betreffen.
Berechnung der Rentensteuer komplex
In den Medien hat Kulosas Auffassung bereits für erheblichen Wirbel gesorgt. Fraglich ist jedoch, ob sich die Bundesregierung bewegt und ob die Oppositionsparteien aus ihren Ankündigungen ernst machen.
So hatte die FDP angekündigt, das Verfassungsgericht anzurufen. Die Linksfraktion im Bundestag forderte, die Übergangszeit zur vollen Besteuerung um 30 Jahre bis 2070 zu verlängern.
Steuerexperten halten es auch für richtig, dass der BFH-Richter Kulosa offensichtlich nur Altersvorsorgebeiträge und den steuerpflichtigen Rentenanteil gegeneinander aufrechnet.
Zugrunde gelegt wird der mit dem Rentenbeginn festgesetzte steuerpflichtige Rentenanteil (2019: 80 Prozent). Allerdings kann man von dem steuerpflichtigen Anteil noch einiges abziehen. So zum Beispiel die Werbungskostenpauschale von derzeit 102 Euro, vor allem aber auch die Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung. Auch Krankheitskosten können steuermindernd geltend gemacht werden.
Zudem wird der Grundfreibetrag herangezogen (2019: 9168 Euro). Nur der darüber hinaus gehende Betrag ist steuerpflichtig. Zusätzlich kompliziert wird die Berechnung der Rentensteuer übrigens durch die Rentenerhöhungen. Denn diese fließen zu 100 Prozent in den steuerpflichtigen Rentenanteil ein.
Doch letztlich muss man sich darüber im Klaren sein: Der Grundfreibetrag oder die Absetzbarkeit der Sozialversicherungsbeiträge haben in der Debatte über eine mögliche Doppelbesteuerung nichts verloren, auch wenn einige Politiker das anders sehen.
5,12 Millionen Rentner werden steuerpflichtig
2020 werden rund 5,12 Millionen Rentner steuerpflichtig sein. Voraussichtlich 51 000 Rentner müssen in 2020 damit rechnen, erstmals wieder Steuern zahlen zu müssen. Hintergrund dafür ist die zu erwartende Rentenerhöhung im Juli 2020. Dies hat das Bundesfinanzministerium auf eine Anfrage der Partei die Linke mitgeteilt. Insgesamt leben in Deutschland etwa 21 Millionen Rentner.
Der Autor ist Leiter der Beratungsstelle Berlin der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer e. V. (Lohnsteuerhilfeverein) mit Sitz in Gladbeck.
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