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Vorwurf der Aktenmanipulation
SPD-Bezirksfraktion setzt Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Ultimatum für Rücktritt
Die Vorwürfe der SPD-Fraktion der Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksverordnetenfraktion sind knüppelhart. Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) soll im Zusammenhang mit den Problemen rund um die Vorkaufs-Genossenschaft »Diese eG« (siehe Kasten) den Sozialdemokraten am 10. Januar nur unvollständigen Einblick in die Akten des Bezirksamts gewährt haben. Bei der Bezahlung der Häuser waren Probleme aufgetreten, dem Bezirk entstehen so Zusatzkosten bis zu 346 000 Euro. Zeitweise stand eine Insolvenz der »Diese eG« im Raum.
»Bei der Durchsicht entstand der Eindruck, dass die Akten trotz durchgehender Paginierung (vorgeschriebene Nummerierung) nicht vollständig sind«, heißt es in einer am späten Freitagabend verschickten Erklärung der SPD. »Man kann es sich nicht vorstellen, dass in einem so schwerwiegenden Fall die Ämter keine fachliche Stellungnahme abgegeben haben sollen«, erläutert der SPD-Kreisvorsitzende Harald Georgii zu »nd«. Diese oder Gesprächsnotizen hätten jedoch vollständig gefehlt.
Die »Diese eG« wurde im Mai 2019 auf Initiative des Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrats Florian Schmidt (Grüne) als eine Art Vorkaufs-Feuerwehr gegründet. Um Vorkaufsrechte ausüben zu können, sprang sie bei Häusern ein, die landeseigenen Wohnungsunternehmen zu teuer waren.
Die Bewohner sollen vor durch die spekulativen Preise erwartbaren Eigenbedarfskündigungen und großen Mietsteigerungen geschützt werden, viele leisteten hohe Einlagen in die Genossenschaft.
Die Zuschüsse des Senat flossen nicht so wie erhofft, was die Genossenschaft in Finanzierungsschwierigkeiten brachte. Vom Kauf des Hauses Rigaer Straße 101 musste sie deswegen zurücktreten. nic
Schmidt habe bei einer gemeinsamen Sitzung der drei Fraktionen von Grünen, LINKE und SPD am Montag schließlich eingeräumt, dass in den Akten nicht alles enthalten sei. Als Begründung, so die SPD, habe der Baustadtrat darauf verwiesen, dass er verhindern wollte, dass die Inhalte von Akten von CDU und FDP instrumentalisiert und von einem Redakteur des »Tagesspiegels« zur politischen Agitation genutzt werden. Die vereinbarte Vertraulichkeit habe die SPD-Fraktion gebrochen, da Schmidt deren Mitglieder »in diesem Rahmen zu Kompliz*innen bei der Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollrechte zu machen versucht« habe.
Harald Georgii verweist auf das Bezirksverwaltungsgesetz, demnach jedem Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom Bezirksamt Einsicht in die Akten zu gewähren ist. »Die Einsicht in die Akten darf nur verweigert werden, wenn der Akteneinsicht schutzwürdige Belange Dritter oder ein dringendes öffentliches Interesse entgegenstehen. Die Verweigerung der Akteneinsicht ist schriftlich zu begründen«, heißt es dort. Dies sei alles nicht geschehen. »Wenn Florian Schmidt den Kontrollanspruch der Bezirksverordneten nicht akzeptiert, untergräbt er seine eigene Legitimation«, so Georgii. Die SPD verlangt nun, dass Florian Schmidt die Akten bis 27. Januar um 12 Uhr der BVV komplett zugänglich macht und zudem deren Vollständigkeit eidesstattlich versichert. Sollte er dem nicht nachkommen »ist sein Rücktritt unvermeidlich«, so die SPD-Fraktion.
Noch in der Nacht zu Samstag reagierte der Baustadtrat auf die Vorwürfe. »Den Eindruck, den die SPD-Fraktion der BVV Friedrichshain-Kreuzberg durch meine Äußerungen in einer vertraulichen Sitzung am Montag hat, ist falsch«, erklärte er gegenüber »nd«. »Der Vorwurf der Manipulation ist haltlos«, so Florian Schmidt weiter. Er habe bereits am Mittwoch mündlich und am Freitag der Fraktion per E-Mail »klarstellende Informationen« gegeben.
Eine Akte zum Haus Rigaer Straße 101 sei noch nicht vorgelegt worden, »weil es sich um einen noch laufenden Vorgang mit einer elektronisch geführten Kommunikation handelt und aufgrund begrenzter Arbeitskapazitäten bislang nicht komplett ausgedruckt und daraufhin geprüft werden konnte, ob und inwieweit schutzwürdige Belange Dritter oder ein dringendes öffentliches Interesse« tangiert werden könnten. Seine Verwaltung gehe davon aus, dass die Akteneinsicht ab der am 27. Januar beginnenden fünften Kalenderwoche möglich sei.
Zwei weitere Akten könnten nicht eingesehen werden, da dem dringende öffentliche Interessen entgegenstünden, solange die »Diese eG« den Finanzierungsprozess noch nicht abgeschlossen habe. Damit schütze das Bezirksamt »sowohl das Wohl und die Interessen des Landes Berlin, als auch die schützenswerten Interessen Dritter«, heißt es weiter in der E-Mail. Sobald die Prozesse abgeschlossen sind, werde das Bezirksamt Akteneinsicht gewähren.
CDU und FDP in der BVV kündigten eine Strafanzeige, Klage auf Herausgabe der Akte und eine Dienstaufsichtsbeschwerde an. Sie fordern Schmidt zum Rücktritt auf. Letzteres ist auch für die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus klar. Deren wohnungspolitischer Sprecher Christian Gräff schreckt auch nicht vor neurechter Sprache zurück, indem er die »Diese eG« als »linksgrün« bezeichnet. Der Senat solle einen Sonderermittler einsetzen, schlägt Gräff vor.
»Der Finanzsenator und die Wohnungsbausenatorin müssen jetzt darstellen, inwieweit sie von den Machenschaften des Stadtrats wussten«, fordert Sibylle Meister, Haushaltsexpertin der FDP im Abgeordnetenhaus.
»Die Behauptung der ›Aktenmanipulation‹ gegenüber Bezirksstadtrat Florian Schmidt ist haltlos«, heißt es in einem recht knappen gemeinsamen Statement des Vorstandes der Bezirksfraktion sowie des Kreisverbandes der Grünen. Fest stehe, dass während des noch laufenden Verfahrens zum Finanzierungsprozess der »Diese eG« die Akten nicht vollständig eingesehen werden dürfen. »Daraus nun einen Vorwurf zu konstruieren, entbehrt jeglicher Grundlage«, heißt es weiter in der Erklärung.
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