Protestzug durch Schnee und Eis

Über 1000 Menschen demonstrieren wandernd gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos

  • Lea Schönborn
  • Lesedauer: 4 Min.

Lange ist es her, dass es zuletzt einen solch großen Protest gegen das alljährlich im Schweizer Skiort Davos stattfindende Weltwirtschaftsforum (WEF) gab. 15 Jahre, um genau zu sein. Für die vier Tage des WEF kommt jedes Jahr ein Großaufgebot an Militär und Polizei in die Stadt, um die Tagenden abzuschotten. Ein Passant auf der Straße erzählt, dass es in dieser Zeit quasi keinen Ort gibt, wo sich die Chauffeure der Banker und Vorstandsvorsitzenden einen Kaffee leisten können.

»Die Idee, nach Davos zu wandern, hatten wir vor ungefähr einem Jahr«, erzählt Mitra Tavakoli. Sie ist Pressesprecherin der Gruppe Strike WEF. »Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet, am Ende so viele zu sein.« 1200 Menschen sind am Sonntag in Landquart losgelaufen. In drei Etappen wollten die Wandernden ihren Protest nach Davos tragen. In den abgelegenen Dörfern auf dem Weg nach Davos öffnen sich viele Fenster, wenn die Rufe und Trommeln den Demonstrationszug ankündigen.

Schon am ersten Tag erregt der Menschenstrom Aufmerksamkeit. Viele Leute in den Dörfern filmen, manche winken oder strecken ihre Daumen in die Höhe. Andere zeigen den Stinkefinger und rufen den Demonstrierenden zu, dass sie doch arbeiten gehen sollen. Vorbeifahrende Autos werden langsamer und hupen. Sogar die Zugfahrer*innen hupen, wenn sie den Demo-Zug sehen, der sich durch die Berge schlängelt.

Die Plakate für die Winterwanderung sind auffallend bunt. »Wir wollten eine breite Masse ansprechen«, erzählt Mitra in der Mittagspause am zweiten Tag im warmen Aufenthaltsraum. Es ist der längste Abschnitt, 22 Kilometer sind am Montag eingeplant. Draußen stehen die Wandernden in kleinen Gruppen um Feuerstellen oder wärmen sich beim Hampelmann-Springen im Kreis auf. Jemand ruft: »What do we want?« - Was wollen wir? Mit einem Teller mit warmem Essen in der Hand, eine Hand am Mund, antworten die Umstehenden: »Climate Justice« - Klimagerechtigkeit.

Die Wandernden müssen nichts zahlen für Essen und Unterkunft. Wer kann, soll einen solidarischen Beitrag leisten. Es sind nicht nur die typischen Studierenden, die an einem Wochentag Zeit für Aktivismus haben. Viele, die hier sind, arbeiten. Der 66-jährige Christian Labhart, Aktivist und Filmemacher, erzählt, dass er schon bei vielen Bewegungen dabei war. »Manchmal resigniere ich auch, weil sich doch nichts verändert«, sagt er. Angesichts der großen Zahl von jungen Menschen, die momentan in der Klimabewegung aktiv sind, schöpft er aber Hoffnung. »Wir sind viele«, sagt auch Mitra, Sprecherin von Strike WEF. »Und wir bringen unseren Protest bis nach Davos.«

Ein Wirtschaftssystem für reiche Männer
Weltweit verrichten Frauen und Mädchen laut Oxfam zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit - pro Tag

In den Nächten sind die Protestierenden in Turnhallen oder Privathäusern untergebracht. In einem kleinen Dorf, das nur über eine vereiste und steile Straße zu erreichen ist, öffnet eine Familie ihr Haus für über 40 Gäste. Es gibt Glühwein und Tee.

Nachdem die erschöpften Wandernden Montagabend mit der Dämmerung in Klosters eintreffen, gibt es ein Panel zum Thema: »Klimawandel - Was tun?« Auf dem Podium sitzen unter anderem Luisa Neubauer, Pressesprecherin von »Fridays for Future« in Deutschland, und Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International.

Die beiden Frauen werden auch auch beim WEF dabei sein. »Greta hat mich gefragt, ob ich sie begleite«, sagt Neubauer. Klaus Schwab, Gründer des Forums, hat die Klimaaktivistin Greta Thunberg wie 2019 auch dieses Jahr eingeladen. Neubauer meint: »Im Gegensatz zum WEF fühlt es sich hier wie Nach-Hause-Kommen an.« Die Anwesenden in der Halle klatschen. Sie liegen auf den müde auf Matten, lauschen dennoch aufmerksam den Sprechenden. Am nächsten Morgen geht es weiter. Diesmal auf Wanderwegen. Für den letzten Tag wurde es den Teilnehmenden nicht erlaubt, auf der asphaltierten Straße laufen.

Bei strahlendem Sonnenschein laufen Hunderte von Menschen am Dienstag friedlich und leise auf dem schmalen Wanderweg. Sie wollen die Tiere nicht stören. Gestört werden sollen nur die Teilnehmenden des WEF. Bei Redaktionsschluss ist die Gruppe von Demonstrierenden noch auf dem Weg nach Davos. Zwischenzeitlich wurden Abschnitte der einzigen Straße nach Davos blockiert. Dadurch kommen einige Teilnehmende des WEF möglicherweise zu spät zu ihren Meetings und persönlichen Treffen. In Davos findet währenddessen eine kleine Kundgebung mit ein paar Hundert Protestierenden statt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.