Heroinabgabe von Staats wegen? Konservative laufen Sturm. Doch nach einem groß angelegten Modellprojekt mehrt sich die Zahl der Befürworter.
Anlässlich des heutigen Nationalen Gedenktages für verstorbene Drogenabhängige haben der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit (akzept), die deutsche Aids-Hilfe und der Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit gefordert, eine kontrollierte Heroinvergabe in das Regelangebot der Drogenhilfe aufzunehmen. Die Organisationen wiesen auf die guten Ergebnisse eines Modellprojektes hin, in dem sich die Heroinbehandlung als »langfristig ausgesprochen erfolgreiche Therapie schwerstabhängiger Heroinkonsumenten« erwiesen hat. Ein Paradigmenwechsel in der Suchtarbeit? Während die traditionelle Drogenarbeit die totale Abstinenz der Süchtigen fordert, nimmt die akzeptierende Drogenarbeit einen immer breiteren Raum ein. Vordergründiges Ziel ist dabei nicht die Entwöhnung, sondern die Verbesserung der Lebenssituation der Drogenbenutzer. Man akzeptiert die Menschen so, wie sie sind - wichtig für die im Drogenalltag oft gedemütigten und ihrer Würde beraubten Suchtkranken. Das Heroin hatte seine Hochzeit in den Siebzigern. Inzwischen geht die Zahl der Drogentoten, von denen die meisten auf das Konto des Opiates gehen, stetig zurück, so die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Starben 2001 laut Statistik 1835 Menschen den Drogentod, waren es 2004 noch 1385. Raphael Gaßmann, stellvertretender Geschäftsführer der DHS, sieht zwei Gründe für den Rückgang: Zum einen wird Heroin immer unpopulärer. Denn die Droge ist nicht nur besonders gesundheitsschädigend, sondern auch besonders teuer - beides hat sich herumgesprochen. Nutzer von Heroin landen schnell in einer Verelendungsspirale, reiben sich auf zwischen Beschaffungskriminalität und körperlichem Ruin. Zudem sind mit dem intravenösen Konsum weitere Risiken, z. B. Infektionen, verbunden. Substitution mit Methadon und anderen Stoffen sowie Konsumräume, wo Junkies unter sauberen Bedingungen ihren Stoff konsumieren können, haben genau diese Risiken und daraus resultierende Todesfälle reduziert. Auch die DHS begrüßt eine flächendeckende Einführung von Heroin als »Medikament« - allerdings unter genau definierten Bedingungen: für Abhängige, denen die Substitution nicht half und die stark verelendet sind. Gaßmann plädiert dabei für eine »aufmerksame Vergabe und eine aufmerksame psychosoziale Begleitung«. Überhaupt sei Letztere das A und O einer erfolgreichen Drogentherapie. Was hat Vorrang: das Dogma der totalen Abstinenz oder eine Stabilisierung des Süchtigen? Für akzept-Geschäftsführerin Christine Kluge Haberkorn keine Frage: Akzeptierende Drogenarbeit liegt für sie nahe an der Realität. »Abstinenz ist genau so eine Illusion wie die Vorstellung, dass es im Knast keine Drogen gibt.« Clean zu sein ist nicht alles, das dicke Ende kommt nach dem Entzug. Auch wenn der Wille stark ist: Kaum jemand schafft es, in der kurzen Entgiftungsphase seine Lebensverhältnisse vollständig umzukrempeln. Entgiftung, Therapie, Rückfälle, Knast - im Lebenslauf eines Süchtigen geht es oft »rauf und runter«, das weiß auch Benedikt Geppert. Seit zehn Jahren ist der 37-Jährige als Streetworker in Leipzig unterwegs, betreut auch immer wieder Leute, die den Ausstieg suchen. »Viele schaffen es nicht beim ersten Anlauf.« Um so wichtiger, dass seine Klienten die Möglichkeit zu einer Substitution haben. Eine kontrollierte Abgabe von Heroin? »Das gibt es in Leipzig leider nicht«, sagt er bedauernd. Und wägt ab: Für ein spezielle Gruppe der Heroinabhängigen wäre so etwas lebensverlängernd. Nicht alle vertragen die Substitution, die Medikamente haben Nebenwirkungen. Als zusätzliches Angebot für Schwerstabhängige - unbedingt! Die Drogenpolitik im CDU-geführten Freistaat ist repressiv, Konsumräume sind »kein Thema«. Und da das Leipziger Ordnungsamt keine offene Szene duldet, rennt das Streetworker-Team des Jugendamtes ständig seiner Klientel hinterher. Die wiederum ist den ganzen Tag unterwegs: Geld besorgen, beschaffen, konsumieren. Auch auf Bundesebene sperren sich Teile der CDU gegen eine moderatere Drogenpolitik. Doch Christine Kluge Haberkorn ist zuversichtlich: Inzwischen üben auch CDU-geführte Städte Druck auf die Bundesregierung aus. Im September findet zu dem Thema eine Anhörung im Gesundheitsausschuss statt. »Die Chancen«, so Kluge Haberkorn, »stehen gar nicht schlecht.«
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