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Urnengang im Schatten der Korruption
Am Sonntag wird in Peru ein Übergangsparlament bis 2021 gewählt, um die Reformblockade zu überwinden
Schlechte Zeiten für korrupte Politiker: Gleich drei peruanischen Ex-Präsidenten drohen lange Haftstrafen. Auch gegen Gouverneure, Bürgermeister, Justizbeamte und Kongressabgeordnete wird ermittelt. Da die Kongressmehrheit um die Fujimori-Partei Fuerza Popular (FP) Ermittlungen behinderte und nötige Justizreformen blockierte, löste der peruanische Präsident Martín Vizcarra am 30. September 2019 den peruanischen Kongress auf. Dafür erhielt er unerwartet viel Applaus. Massive Kritik kam naturgemäß aus der Partei, die im alten Kongress die absolute Mehrheit der Sitze besaß. Das war die FP von Keiko Fujimori, der Tochter des ehemaligen Diktators Alberto Fujimori (1990-2000). Deren Wortführer, zum Teil noch Weggefährten des Familienpatrons, wähnten den politisch eher moderaten Präsidenten auf dem Wege Fidel Castros und entlarvten ihn als eine Inkarnation des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Doch Vizcarra handelte rechtskonform, er hatte für Reformprojekte wiederholt keine Mehrheit im Kongress gefunden.
Die Schließung des Kongresses steht in direktem Zusammenhang mit einer Welle von Korruptionsprozessen, die Peru überzieht. Fast alle Präsidenten der vergangenen 35 Jahre werden verdächtigt, den brasilianischen Baukonzern Odebrecht gegen Zahlung von Schmiergeldern bei Bauaufträgen und Ausschreibungen bevorzugt zu haben. Alan García, Präsident von 1985 bis 1990 und von 2006 bis 2011, erschoss sich im April vergangenen Jahres kurzerhand, als er in Untersuchungshaft geschickt werden sollte. Alejandro Toledo, Präsident von 2001 bis 2006, befindet sich in Auslieferungshaft in den USA. Auch gegen Toledos Nachfolger Ollanta Humala (2011 bis 2016) und Pedro Pablo Kuczynski (2016 bis 2018) wird eine Anklage vorbereitet. Humala saß bereits knapp zwei Jahre im Untersuchungshaft, der 81-jährige Kuczynski steht seit April 2019 unter Hausarrest. Nur Alberto Fujimori kam nicht wegen Odebrecht ins Gefängnis. Er verbüßt stattdessen eine 25-jährige Haftstrafe wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen.
Die Spur der Korruption zieht sich vom Präsidentenamt weiter ins Parlament und in die Provinzen. Es geht längst nicht mehr nur um Odebrecht. Keiko Fujimori, die bei der Präsidentschaftswahl 2016 nur knapp gescheitert war, musste wegen nicht deklarierter Wahlkampfspenden und fortgesetzter Behinderung der gegen sie laufenden Ermittlungen ebenso in Untersuchungshaft wie Limas ehemalige Bürgermeisterin Susana Villarán und der frühere Gouverneur der Provinz San Martín César Villanueva.
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Auch die Justiz selbst ist betroffen. Im Juni 2018 flog ein Netz von teils hochrangigen korrupten Richtern und Staatsanwälten mit dem Namen »Weißen Kragen vom Hafen« auf. Der Chef der Bande mit Sitz in Limas Hafenbezirk Callao war Richter am Obersten Gerichtshof und dort auch mit Revisionsverfahren in Korruptionsfällen befasst. Die »Weißen Kragen« erpressten Bestechungsgelder für die Vergabe von Justizposten, manipulierten Urteile durch Absprachen und pflegten erstklassige Beziehungen zur Drogenmafia sowie - das belegen abgehörte Telefongespräche - zu Keiko Fujimoris Partei FP.
Im September 2019 unternahm die Kongressmehrheit um die FP in aller Eile den Versuch, mehrere Richterstellen im obersten Verfassungsgericht mit eigenen Leuten zu besetzen, ohne die Auswahlkriterien transparent zu machen. Ein von Präsident Vizcarra in den Kongress eingebrachtes Gesetz, das eine größere Transparenz bei Richterwahlen durch das Parlament garantieren sollte, wurde abgeschmettert. Nachdem der Kongress einen Cousin des amtierenden Parlamentspräsidenten der FP zum Verfassungsrichter gekürt hatte, zog Präsident Vizcarra die Reißleine und ließ den Kongress schließen. Anschließend wurde die Richterwahl annulliert, weil ein Widerspruch zweier Abgeordneter gegen die Vetternwirtschaft nicht mehr verhandelt werden konnte.
Die FP hatte es mit der Wahl der Verfassungsrichter deshalb so eilig, weil Keiko Fujimori zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß und nur das Verfassungsgericht ihre zweieinhalbjährige Untersuchungshaft wieder aufheben konnte. Keiko Fujimori erreichte ihr Ziel trotzdem: Das Verfassungsgericht unter dem Vorsitz von Ernesto Blume, einem alten Vertrauten ihres Vaters Alberto, verfügte Ende November 2019 ihre sofortige Freilassung - gerade noch rechtzeitig für den anstehenden Wahlkampf.
Gewählt wird nur ein Übergangsparlament, denn bereits im April 2021 stehen wieder turnusmäßig Präsidentschafts- und Kongresswahlen an. Für Sonntag liegt nach den letzten Umfragen die rechtskonservative Acción Popular mit etwa 15 Prozent in Front, gefolgt von der FP. Die Linke in Peru hat es nicht geschafft, den Korruptionsskandal für sich zu nutzen. Stattdessen hat sie sich bei internen Streitigkeiten selbst zerlegt (siehe Interview). Nur die von Marco Arana geführte Frente Amplio besitzt ernsthafte Chancen, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Immerhin steht es so gut wie fest, dass die FP ihre absolute Mehrheit verlieren wird. Damit wäre der Weg für Reformen frei.
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