Gegen geheuchelte Anteilnahme

Antifaschist*innen protestierten gegen AfD-Präsenz bei Gedenkveranstaltung in Marzahn

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Erschüttert stehen die Menschen auf dem Rasen des Parkfriedhofs Marzahn im kalten Nieselregen. Seit einer halben Stunde versuchen sie, zur Kundgebung an der Gedenkstele zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vorgelassen zu werden. Es sind Menschen jeden Alters. Viele tragen Blumen und Transparente, auf denen zur Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Vernichtung aufgerufen wird. Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) hat für den Samstag vor dem Internationalen Holocaustgedenktag am 27. Januar aufgerufen, sich am Stillen Gedenken zu beteiligen, zu dem traditionell der Bezirk Marzahn-Hellerdorf und der Heimatverein Marzahn eingeladen haben. Zugleich wolle man sich deutlich dagegen aussprechen, dass die rechte AfD an dieser Veranstaltung teilnimmt.

Gerade werden erneut mehrere Personen durch Beamt*innen der 32. Einsatzhundertschaft zurückgeschubst in die Gruppe der etwa 200 Menschen. Polizeihunde bellen aufgeregt, springen einzelne Personen an, jemand ruft »Wie könnt ihr es wagen, das ist ja wie 1933«.

»Ihr solltet euch schämen«, sagt eine ältere Frau zu dem Polizisten, der ihr gegenüber steht. »Sie sind bewaffnet und schützen diejenigen, die den Holocaust leugnen.« Der Beamte entgegnet: »Wir sind neutral und hier, um Straftaten zu verhindern.« Man habe dafür zu sorgen, dass »Ruhe einkehrt«. »Wissen Sie, wir haben ruhig und friedlich demonstriert, es wurde erst lauter, als wir aufgehalten wurden«, erklärt die Frau dem Beamten ihre Sicht: »Unter uns sind Menschen, deren Eltern in nationalsozialistischen Lagern oder als Zwangsarbeiter ermordet wurden, die werden von Ihnen gerade daran gehindert, ihrer Angehörigen zu gedenken.« Die Hunde bellen noch immer.

Die polizeilich hergestellte Situation vermeintlicher Ruhe nutzen derweil Mitglieder der AfD, um sich an der Gedenkstele, an der sich Vertreter*innen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) versammelt haben, zu positionieren. Einige filmen anwesende Journalist*innen und beschimpfen die etwa 150 Meter entfernt hinter der Polizeikette stehenden Antifaschist*innen. Den Gedenkreden hören sie nicht zu. Zuvor hatten Polizeibeamt*innen die etwa zehnköpfige AfD-Gruppe vom hinteren Parkeingang zum Ort der Gedenkveranstaltung eskortiert. Um den Bereich vor der Stele freizuhalten, schob die Polizei dafür 25 Menschen vom Bündnis »Antifaschistisch gedenken« zurück in Richtung Friedhofseingang.

Nicht abseits, sondern inmitten der Gruppe von Bezirkspolitiker*innen von LINKE, SPD und CDU legt der AfD-Bundestagsabgeordnete Gunnar Lindemann einen Kranz der AfD-Fraktion ab. Während er ihn fotografiert, treten andere Menschen heran und versuchen, mit Blumen den Kranz der AfD zu verdecken. Ein junger Mann legt ein Kranzgebinde auf das der AfD. Der AfD-Politiker versucht, es beiseite zu schieben. »Dies ist ein Gedenkkranz, Herr Lindemann, lassen Sie ihn bitte liegen«, sagt der junge Antifaschist. Joachim Nedderhut, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Bezirks-AfD, tritt heran. Lindemann versetzt dem Kranz der Antifaschist*innen einen Schubs, so dass er beiseite fliegt. Der junge Mann wird beiseite gedrängt und tritt dann zurück. Joachim Nedderhut ruft nach der Polizei, er wolle Anzeige erstatten. Der Antifaschist erhält später eine Anzeige wegen Sachbeschädigung. Zwei Polizisten, die anwesende Pressevertreter*innen davon abhalten, sich als Zeug*innen zur Verfügung zu stellen, kommentieren das Anliegen mit: »Irgendwo hört das Presserecht auch auf.«

Unterdessen ist die Veranstaltung des Bezirks zu Ende gegangen, die Polizei gibt das Gelände um die Stele herum frei für die Menschen, die auf dem Rasen ausgeharrt haben.

»Was wir hier heute erlebt haben, war kein würdiges Gedenken«, sagt Markus Tervooren von der VVN/BdA. Es sei durch die Teilnahme von Vertretern der AfD aus der Bezirksverordnetenversammlung und dem Abgeordnetenhaus »ad absurdum geführt, gestört und entwürdigt worden«. Der Kranz der AfD liegt da inzwischen bereits im Gebüsch. Mindestens ein weiterer Antifaschist erhält eine Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Als »ekelhaft« und »unerträglich« bezeichnete Petra Pau, die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, die Teilnahme der AfD am Gedenken des Bezirks gegenüber »nd« bereits am Morgen vor der Gedenkveranstaltung. Es handele sich um »geheuchelte Anteilnahme«.

Die Polizei sprach auf dem Nachrichtendienst Twitter von einer »große Herausforderung, wenn eine Gedenkveranstaltung auf Protest stößt«. Beides müsse sie »ermöglichen und schützen«.

Die LINKE-Politiker Niklas Schrader, Mitglied des Abgeordnetenhauses, und Björn Tielebein, Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, fordern eine parlamentarische Aufarbeitung des Polizeieinsatzes auf Bezirks- und Landesebene.

Die Linkenfraktion in der BVV Marzahn-Hellersdorf hatte schon am Donnerstag eine Erklärung mit dem Titel »Den Opfern des Faschismus gedenken, heißt auch den Rechtsruck bekämpfen« veröffentlicht. Einen Einsatz der Polizei, hieß es bereits dort, halte man für unangemessen: »Dies würde dem eigentlichen Anlass des Gedenkens entgegenstehen.« Björn Tielebein zeigte sich am Samstag »schockiert« über die Ereignisse auf dem Parkfriedhof. Eine Entschuldigung des Innensenators sei »das Mindeste«.

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