Mehr als nur eine Spielwiese

Gewerkschaftslinke diskutierten zwei Tage lang, wie man wieder kämpferisch wird

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei der Gewerkschaftslinken will man in die Offensive gehen. Über 150 Basisaktivisten trafen sich in Frankfurt am Main zur bundesweiten Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften. Das Vernetzungstreffen war ein Neuanfang nach langer Pause. Veteranen früherer Jahrzehnte waren ebenso angereist wie jüngere Aktivisten, die über frische Erfahrungen in Arbeitskämpfen und Konflikte in Gewerkschaftsgremien sowie gemeinsame Projekte sprachen.

Matthias Fritz, Ex-Betriebsrat und IG-Metall-Vertrauenskörperleiter bei dem Autozulieferer Mahle in Stuttgart, diagnostizierte eine »Rechtswende der Gewerkschaften« seit 20 Jahren. Dies mache sich an einer Institutionalisierung von Leiharbeit, Hinnahme der Agenda 2010, fehlender Kritik am Dieselskandal und kritikloser Unterstützung des Konzepts batteriebetriebener E-Autos fest. »Die Interessenvertretung für Stammbelegschaften war nur vordergründig erfolgreich, dies wird aber für die nächste Krise nicht mehr funktionieren.«

Fritz engagierte sich schon nach der Jahrtausendwende bei bundesweiten Kongressen von Gewerkschaftslinken. »Das Problem lag zunehmend darin, dass unverbindliche Reden gehalten wurden, die Krise der Gewerkschaften nur am Rande analysiert wurde, und keine Vereinbarungen über eine gemeinsame Stoßrichtung getroffen wurden«, blickt er zurück. Bei der jetzigen Konferenz sei aber der Wille von antikapitalistisch gesinnten Aktivisten unüberhörbar, solidarisch und vorwärtsorientiert zu einer gemeinsamen Stoßrichtung zu kommen.

Kritik an der oft als Bremse wahrgenommenen Rolle hauptamtlicher Apparate und die Forderung nach mehr Demokratie in Arbeitskämpfen und Gewerkschaften machten sich etwa an der Streikbewegung in den Sozial- und Erziehungsdiensten 2015 fest, die der ver.di-Vertrauensmann der Stadt Dortmund, Julian Koll, beschrieb. Alexandra Willer, Personalratsvorsitzende beim Universitätsklinikum Essen, schilderte den elfwöchigen Arbeitskampf 2018, bei dem sich neben einer aus »alten Hasen« bestehenden Streikleitung auch ein demokratisch gewähltes Streikkomitee gebildet hatte. Dort hätten sich gerade auch neue und frische Kräfte engagiert, die zuvor nicht gewerkschaftlich aktiv gewesen seien, so die ver.di-Aktivistin. Doch ver.di-Hauptamtliche hätten das Streikkomitee »nie offiziell anerkannt, sondern bis zu einem gewissen Punkt als demokratische Spielwiese geduldet«. Folglich wurden in der Diskussion Forderungen nach einer Abschaffung der Regelung in Gewerkschaftssatzungen laut, wonach die Zustimmung von mindestens 75 Prozent der befragten Gewerkschaftsmitglieder für die Ausrufung eines Streiks erforderlich ist, umgekehrt jedoch 25 Prozent für die Annahme eines Verhandlungsergebnisses ausreichen.

Michael Clauss, Betriebsrat im Stuttgarter Daimler-Motorenwerk, kritisierte, dass der IG-Metall-Vorstand zum Auftakt der Tarifrunde 2020 eine konkrete Forderung nach Einkommenserhöhung in den Hintergrund gestellt habe. Mit der erklärten Zielsetzung eines reinen Inflationsausgleichs sei die traditionelle Forderung nach Ausgleich für den erarbeiteten Produktivitätszuwachs sowie nach einer Umverteilungsquote zumindest teilweise aufgegeben worden, so Clauss.

Zur Sprache kam auch die konkrete Gestaltung von Arbeitszeitverkürzung und Sehnsucht nach kürzerer Vollzeit. Metaller sprachen von Tendenzen, auf betrieblicher Ebene die 35-Stunden-Woche zu unterlaufen. Für anwesende Eisenbahner aus der Gewerkschaft EVG wiederum hatte die tarifvertragliche Option auf mehr Urlaubstage absoluten Vorrang. Wenn die starke Nachfrage die Bahn-Manager überrascht und die Personalknappheit verschärft habe, sei es ihrer jahrelangen Personalpolitik geschuldet, so der Tenor. Über 100 Jahre nach der Erkämpfung des Acht-Stunden-Tags und gut 25 Jahre nach der Durchsetzung der 35-Stunden-Woche für westdeutsche Metaller und Drucker müsse der Kampf um weitere Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich nicht nur auf tarifvertraglicher Ebene, sondern auch gesellschaftspolitisch geführt werden, forderten mehrere Redner. »Es wäre gut, wenn sich die Klimabewegung die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zu eigen machen würde«, so der ehemalige Wolfsburger VW-Betriebsrat Stephan Krull in der Debatte über Gewerkschaften und Klimabewegung.

Eine von der Konferenz verabschiedete Erklärung strebt eine bessere Vernetzung als Beitrag zu einem Strategiewechsel der Gewerkschaften und Abkehr von Co-Management und Sozialpartnerschaft an. Erste gemeinsame Projekte sollen zu den anstehenden großen Tarifrunden sowie zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März und zum 1. Mai gestartet werden.

»nd« unterstützte die Strategiekonferenz in Frankfurt im Rahmen einer Medienpartnerschaft.

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