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Minister Heil justiert nach
Nach mehrfacher inhaltlicher Verwässerung gerät die Grundrente nun auch terminlich unter Druck
Im November vergangenen Jahres schien es bereits, als sei der scheinbar endlose Konflikt um die Grundrente in der Großen Koalition endlich ausgeräumt. Zwar gab es am Kompromiss um einen Zuschlag für Menschen, die nach einem Leben voller Arbeit nur eine Grundsicherung erhalten, auch Kritik. Aber das Prinzip überzeugte: Millionen Menschen, die jahrelang unterhalb des Durchschnittseinkommens bezahlt wurden, sollen aus Steuermitteln einen Zuschlag erhalten. Allerdings ging es im November schon nicht mehr um bis zu drei Millionen Menschen, denen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) anfangs die Grundrente in Aussicht gestellt hatte. Doch insgesamt konnte die SPD auf einen Erfolg verweisen. Aus der von der Union geforderten Bedürftigkeitsprüfung war eine Einkommensprüfung geworden. Und 1,4 Millionen Menschen, vor allem im Osten, sollten von der Grundrente profitieren.
Die überarbeitete Version des Gesetzentwurfs nach der Einigung der Parteispitzen im November mündet absehbar in einer Ernüchterung. Details des Entwurfs, der sich in der Ressortabstimmung befindet und daher als »regierungsintern«, also nicht öffentlich behandelt wird, werden immerhin in Bruchstücken bekannt und lassen ahnen, dass von den großen Ansprüchen immer weniger übrig bleibt. Zwar hieß es kürzlich, statt der 35 Jahre, die Berechtigte mindestens gearbeitet haben müssten, werde nun in bestimmten Fällen schon ab 33 Arbeitsjahren ein anteiliger Grundrentenzuschlag möglich. Jedoch sinkt die Zahl der Nutznießer dennoch. 1,6 bis 2,6 Millionen Menschen weniger als ursprünglich vorgesehen könnten jetzt noch auf einen Rentenzuschlag rechnen, wirft Matthias Birkwald, Rentenexperte der LINKEN im Bundestag, den Koalitionären vor. Der Grundrentenzuschlag sei im Referentenentwurf des Ministeriums von Hubertus Heil »willkürlich um 12,5 Prozent gekürzt worden«, erläuterte Birkwald in einem Interview der »Jungen Welt«. Das »zentrale Ziel des Gesetzes« werde damit nicht mehr erreicht, viele Menschen müssten absehbar weiter in der »bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung im Alter verbleiben«.
Nachdem die Union im Streit um das Gesetz der SPD und ihrem Sozialminister auf diese Weise ihren Stempel aufgedrückt hat, scheint nun auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens in Zweifel zu geraten. Das Gesetz soll nach bisheriger Planung ab Beginn des kommenden Jahres gelten. Doch was sich die Politik überlegt, müssen die Behörden umsetzen. Und erst kürzlich hatte die Deutsche Rentenversicherung deutlich gemacht, dass sie ernste Probleme sieht, was die Realisierung der Grundrente angeht. Von 1000 Mitarbeitern, die zusätzlich nötig würden, war die Rede. Und an noch weiteren Voraussetzungen hapert es. Das Recht auf eine Grundrente werde mit keinem zusätzlichen Aufwand der Betroffenen einhergehen, hatte die SPD versprochen. Für die verabredete Einkommensprüfung setzt dies jedoch voraus, dass die Finanzämter der Rentenversicherung direkt eine Information zukommen lassen. Eine direkte Kommunikation der Computersysteme existiert bis heute nicht und ist auch nicht über Nacht herzustellen, abgesehen vom zusätzlichen Behördenaufwand.
Die Union bringt nun bereits eine Verschiebung des Starttermins für die Grundrente um ein halbes Jahr ins Spiel. »Wenn es nicht anders geht, dann sollten wir die Einführung der Grundrente besser auf den Juli verschieben«, sagte der Arbeitsmarkt- und Sozialexperte Peter Weiß (CDU) der »Augsburger Allgemeinen«. Zu den technischen kommt ein anderes Hemmnis. Hubertus Heil und Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatten zur Finanzierung der Grundrente die Erlöse aus einer Finanztransaktionssteuer einsetzen wollen. Diese kommt auf EU-Ebene jedoch nicht voran. Aus den Beiträgen der Rentenversicherung dürften die Kosten jedenfalls nicht bestritten werden, beharrt die Union. Heil und Scholz wollten am Montag im Ressortdialog des Bundeskabinetts neue Vorschläge präsentieren, hieß es.
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