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- Agrarwende und Bauernproteste
Die Verzweiflung der Bauern
Landwirte sind vom gnadenlosen Prinzip des Wachsen-oder-Weichen getrieben worden - jetzt müssen sie eine Alternative finden
Die Grüne Woche ist vorbei. Die Wut der Bauern noch lange nicht. Demonstrationen, Trecker-Sternfahrten, lodernde Mahnfeuer – die Bauern haben es satt, »zum Schafott geführt zu werden«, wie es ein Demonstrant ausdrückte. Dieser Winter wird in Erinnerung bleiben als Beginn neuer Bauernproteste, als Gründungsphase neuer Bauernbündnisse und womöglich als Anfang vom Ende des ewigen Schulterschlusses von Bauern, Bauernverband und Unionsparteien. Es brodelt in den Ställen und Höfen wie lange nicht.
Während die Bauern erstmals ihre Haus- und Hof-Parteien CDU und CSU offen attackieren, biedert sich die AfD in demagogischer Tonlage als »neue politische Heimat« an. Sie proklamiert statt Insekten- und Klimaschutz den Schutz der bäuerlichen Familie; nicht die Klimakiller, die Höfekiller müssten bekämpft werden. Statt mehr Tierwohl lieber mehr Geld in der Bauernkasse usw. Es sind vergiftete Streicheleinheiten für die Bauern, die laut AfD die eigentlichen Natur- und Klimaschützer seien.
Die AfD ist ein Ablassventil für die überschäumende Wut und Verzweiflung der Bauern. Doch der historische Einschnitt in der Landwirtschaft ist unvermeidbar. Sie steht vor Herausforderungen, die mit »tiefgreifender Wandel« noch zurückhaltend beschrieben sind. Wenn jetzt Schluss ist mit »Pillepalle« (Kanzlerin Merkel), wenn zumindest in Ansätzen ernst gemacht wird mit dem Schutz von Umwelt und Klima, dann steht neben der Verkehrs- und Energiepolitik vor allem die Landwirtschaft im Fokus. Alle wissen: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.
Die Intensivlandwirtschaft ist eine der zentralen Ursachen für das Insekten-, Bienen- und generelle Artensterben. Auch bei Tierhaltung, Antibiotika und beim Pestizid- und Düngereinsatz bekommen die Landwirte Druck. Dazu die beiden Dürrejahre hintereinander mit einer sich gefährlich zuspitzenden Klimakrise. Jetzt droht die Verschärfung der Düngeverordnung den Bauern den Rest zu geben. In markierten Gebieten, in denen das Grundwasser stark nitratbelastet ist, muss der Einsatz von Gülle und Kunstdünger zurückgefahren werden. Der Protest der Bauern richtet sich – teilweise wohl zu Recht – gegen die Auswahl der Nitratmessstellen und eine großflächige Ausweisung »roter Zonen«. Klar ist aber auch, dass es in den tierintensiven Regionen mit ihren Gülle-Überschüssen drastischer Veränderungen bedarf.
Kein anderes Thema offenbart so klar die Falle, in der die Bauern sitzen. Um immer neue Produktivitätssteigerungen zu erzielen, werden Jahr für Jahr Millionen Tonnen Soja und damit Millionen Tonnen Nährstoffe importiert. Die landen in den Mägen der Nutztiere und zum großen Teil im Güllebecken. Im Zuge einer Kreislaufwirtschaft müssten sie eigentlich zurückgeführt werden, um in Brasilien oder Paraguay die Nährstofflücke zu schließen. Weil aber niemand Scheiße und Gülle nach Südamerika transportiert, bleiben viele Bauern auf den Exkrementen sitzen. Was tun? Überschüsse auf Felder und Wiesen ausbringen, das geht nicht mehr.
Die Bauern haben sich diesen Weg nicht ausgesucht. Sie sind vom gnadenlosen Prinzip des Wachsen-oder-Weichens, von der Ideologie des Immer-mehr und vom jahrzehntelangen Weltmarktgerede der Politik getrieben worden. Es galt bis gestern als normal, dass unsere Hühner jedes Jahr zehn Eier mehr legen, unsere Kühe 100 Liter Milch mehr geben, die Schweine noch fünf Tage schneller zum Schlachtgewicht katapultiert werden und kleinteilige Agrarlandschaften weichen mussten. Doch die gesellschaftliche Akzeptanz ist dahin, die Folgen für Natur, Umwelt, Klima werden nicht länger hingenommen.
Die Bauern sehen keinen Ausweg. Sie verstehen nicht, dass selbst die alten Paten in der Union sich abwenden. In dieser Situation ist es trotz allem wichtig, den Bauern Respekt zu zeigen. Und Verständnis für ihre Lage. Die notwendige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Bauern nicht länger die von ihnen mitverursachten dramatischen Umweltprobleme bestreiten und eine klare Trennlinie zur weiteren Agrarindustrialisierung ziehen. Die Wasser- und Bodenbelastungen sind Realität. Insekten, Bienen und Vögel sterben tatsächlich. Sobald die Bauern und ihre Verbände die Lage ehrlich analysieren, bekommen wir eine ganz andere Stimmung. Die AfD kann den Bauern nicht helfen, das können nur sie selbst. Mit Selbstkritik und der Bereitschaft zum Aufbruch in den gesellschaftlich gewollten Umbau von Tierhaltung und Pflanzenbau in bäuerlichen Strukturen.
Manfred Kriener ist Journalist und Autor, unter anderem zu Ernährungsthemen.
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