Gemalte Erinnerung an das Grauen
Im Deutschen Bundestag werden Bilder des Auschwitz-Überlebenden David Olère gezeigt
Dieser Tage sieht man immer wieder die Bilder von der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Erschreckende, grausame Bilder, die dennoch nicht im Entferntesten ahnen lassen, was die dort von Deutschen gequälten und ermordeten Menschen aus allen Teilen Europas erleiden mussten: Juden, Polen, Sinti und Roma, Rotarmisten ...
Fotos von der intakten und hocheffizienten Menschenvernichtungsfabrik gibt es kaum. Die Täter versuchten, ihr Völkermorden geheim zu halten. Und so wie die Gaskammern gesprengt und Dokumente vernichtet wurden, vernichtete die SS auch die Mitglieder der »Sonderkommandos« in Auschwitz. Diese bestanden aus Juden, die unter Aufsicht der SS die Arbeit vor und nach den Gaskammern erledigen mussten. Sie waren gezwungen, die ermordeten Menschen zu »verwerten«. Man rasierte sie, brach ihnen Goldzähne heraus, karrte sie zu den Krematorien, fuhr die Asche ab. Nur ganz wenige aus dem »Sonderkommando« überlebten. Zu ihnen gehört David Olère. Er war Künstler, Maler, Dokumentarist.
Krematorium III
David Olère wurde am 19. Januar 1902 in Warschau geboren, studierte dort an der Akademie der Bildenden Künste, zog 1921 nach Berlin, wo er für die Europäische Film-Allianz arbeitete. In den 1930er Jahren arbeitete er für Filmstudios in Paris, darunter Paramount Pictures, Fox und Gaumont, schuf Filmkulissen, Kostüme und Werbeplakate. Dann überfielen Hitlers Truppen Frankreich. Während es seiner Frau Juliette und seinem damals elfjährigen Sohn Alexandre gelang, vor den Nazis aus Paris zu fliehen, wurde David Olère am 20. Februar 1943 von der französischen Polizei verhaftet und im Durchgangslager Drancy interniert. Von dort deportierte man ihn und tausende andere nach Auschwitz. Nur zwei Frauen und acht Männer überlebten die Hölle des Sonderkommandos. Olères Häftlingsnummer lautete: 106144. Sein Auftrag: Leichen beseitigen im Krematorium III.
Nach seiner Befreiung fertigte der Künstler in den Jahren 1945 und 1946 eine Serie von 70 Zeichnungen an. Sie zeigen Szenen aus dem Lagerleben sowie detailgetreu und damit quasi dokumentarisch die Phasen der Häftlingsvernichtung. Er skizzierte die Pläne von Krematorien und Gaskammern, hielt die dramatischen Szenen fest, die sich hinter deren Mauern abspielten. Tag für Tag. Zwischen 1960 und 1980 übertrug der Künstler einige dieser Dokumente in Gemälde voller emotionaler Tiefe. Sie sind nun zum ersten Mal in Deutschland im Paul-Löbe-Haus des Bundestages zu sehen. Am Mittwoch, kurz bevor das Parlament zum Holocaust-Gedenken zusammentritt, wird die Ausstellung offiziell eröffnet.
Beate Klarsfeld spricht zur Eröffnung
Wie so oft gibt es hinter der einen Geschichte weitere, die es wert sind, berichtet zu werden. Dass es die Ausstellung gibt, ist zunächst einmal der Initiative der Linksfraktion zu danken. Bei einem Treffen mit Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer, und Vizefraktionschefin Gesine Lötzsch vor rund einem Jahr berichteten die beiden französischen Antifaschisten Beate und Serge Klarsfeld von der großen Resonanz, die eine Olère-Ausstellung im Museum der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gefunden hatten. Korte wandte sich an Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) und schlug vor, diese künstlerisch wie dokumentarisch einzigartige Schau im Bundestag zu zeigen. Sie wird bis zum 20. Februar zu sehen sein, wer sich anmeldet, kann sie besuchen.
Auch der Bitte, das Vorwort für die Begleitbroschüre zu schreiben, kam Schäuble nach. Die Werke, so schrieb er, »führen unmissverständlich vor Augen, was zu keiner Zeit aus dem Blick geraten darf: Die Abgründe eines singulären Zivilisationsbruchs, der von Deutschland ausging und der uns in die Pflicht nimmt, dem Gebot «Nie wieder!» stets aufs Neue zeitgemäß Gestalt zu verleihen«.
Zur Eröffnung wird Beate Klarsfeld sprechen. Auch das ist eine Geschichte zur Geschichte. Bekannt wurde die 1939 in Berlin geborene Antifaschistin, als sie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) wegen dessen Verstrickungen in das NS-Regime öffentlich ohrfeigte. Gemeinsam mit ihrem Mann Serge hat sie rastlos Nazi-Verbrechen und -Verbrechern nachgespürt. 1971 versuchten die beiden, den einstigen SD-Chef von Paris, Kurt Lischka, der die Deportation Zehntausender Juden angeordnet hatte und trotz französischen Urteils unbehelligt in Köln lebte, nach Frankreich zu entführen. Die Klarsfelds enttarnten auch den einstigen Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie.
Offizielle Unterstützung fanden die Klarsfelds in der alten Bundesrepublik kaum. Dafür erreichten sie Morddrohungen und bekamen eine Paketbombe mit 500 Gramm Dynamit, gespickt mit Tapeziernägeln, nach Hause geschickt. 1988 wandte sich Beate Klarsfeld an den DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und bat um Hilfe bei der Jagd auf Alois Brunner, einem Logistiker des Völkermordes. Dessenn Chef Adolf Eichmann war wegen seiner Verbrechen bereits 1962 in Israel hingerichtet worden. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR hatte bereits entsprechende Aufträge erhalten, doch das Ende der DDR kam schneller als erwartet. Brunner wurde - wie viele andere Mitschuldige am Holocaust - nie vor ein Gericht gestellt.
Es kann nicht schaden, sich auch dieser Geschichten hinter den Geschichten zu erinnern, wenn die Präsidenten Deutschlands und Israels vor dem Bundestag sprechen, um an die Opfer des Nazi-Regimes zu erinnern.
Anmeldung zur Besichtigung telefonisch unter 0049 30 227-38883 oder per E-Mail: ausstellungen@bundestag.de.
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