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Staatseingriffe erwünscht
In Hamburg macht die Miete oft die Hälfte des Einkommens aus. Auch deshalb ist der Wohnungsmarkt ein zentrales Wahlkampfthema.
Für günstigen Wohnraum können Hamburger derzeit gleich doppelt unterschreiben. Einen bezahlbaren Mietvertrag bekommen sie zwar nicht vorgelegt, aber Unterschriftenlisten für zwei Volksinitiativen, die die Wohnungspolitik der Elbmetropole auf ein soziales Fundament stellen wollen.
Die Initiative »Boden und Wohnraum behalten - Hamburg sozial gestalten« möchte der Stadt verbieten, eigene Grundstücke an private Investoren zu verkaufen. Die Initiative »Neubaumieten auf städtischem Grund für immer günstig« verlangt, dass auf öffentlichem Bauland künftig nur noch Sozialwohnungen entstehen dürfen, die zudem keiner Sozialbindungsfrist unterliegen. Die aus juristischen Gründen geteilten Initiativen besitzen ein gemeinsames Motto: »Keine Profite mit Boden und Miete!«
Einfamilienhäuser verboten
»Die Sorge der Menschen, keine Wohnung zu finden, droht in Angst umzuschlagen«, sagt Siegmund Chychla, der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg, dem rund 70 000 Haushalte in der Hansestadt angeschlossen sind. Der Mieterverein unterstützt die Volksinitiativen ebenso wie die Linkspartei, die darüber hinaus mit Blick auf Berlin ein fünfjähriges Einfrieren der Mieten befürwortet. »Je stärker die Linke, desto eher kommt ein Mietendeckel«, sagt Florian Wilde, der die Mietenkampagnen der lokalen Linken koordiniert und Hamburg als »Epizentrum des Mietenwahnsinns« bezeichnet. »Die Wohnungsfrage kann nur lösen, wer die Eigentumsfrage stellt«, heißt es im Wahlprogramm der Linkspartei.
Für Bürgermeister Peter Tschentscher vertreten die Berlin-Befürworter in der Hansestadt »abenteuerliche Vorschläge«. Der Sozialdemokrat zeigt gern auf den Ende 2019 veröffentlichten Mietenspiegel, nach dem die Mieten in den vergangenen zwei Jahren um 2,6 Prozent gestiegen sind - und damit deutlich langsamer als in der Zeit davor. Skeptiker hatten vorab einen Anstieg von vier bis fünf Prozent im Trend der 2010er Jahre befürchtet. Dass die Zahlen darunter blieben, führt die SPD auf ihre Wohnungspolitik nach der Amtsübernahme von Olaf Scholz 2011 zurück.
»Unser Ziel ist, dass alle Bürger überall in der Stadt eine Wohnung finden und auch bezahlen können«, sagt Dorothee Stapelfeldt. Die sozialdemokratische Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen verweist auf jährliche Baugenehmigungen für mindestens 10 000 neue Wohnungen und die eingeführte Mietpreisbremse, die durch Modernisierungen allerdings häufig von Vermieterseite ausgehebelt wird.
Im Durchschnitt zahlen Hamburger 8,66 Euro pro gemieteten Quadratmeter - mehr als in Berlin (6,72 Euro) und weniger als in Frankfurt am Main (9,36 Euro) und München (11,69 Euro). Das Problem ist der Mangel an günstigem Wohnraum: Weil laufend bestehende Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, erhöht sich die Zahl geförderter Wohnungen selbst nach den durchaus ehrgeizigen Plänen des rot-grünen Senats bis 2030 nur von 79 000 auf 83 000 Einheiten und fängt somit kaum die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung der wachsenden Stadt auf. Zuletzt warteten mehr als 10 000 Haushalte trotz Dringlichkeitsscheins vergeblich auf eine passende Wohnung.
Und jeder sechste Hamburger wendet inzwischen mehr als die Hälfte seines Einkommens für die Warmmiete auf. Etwa 2000 Menschen in Hamburg sind obdachlos, rund 20 000 werden als wohnungslos geführt.
»Wer keine leistbare Wohnung findet, wird aus Hamburg verdrängt«, resümiert Heike Sudmann von der Hamburger Linkspartei und rechnet vor, dass die wohnungspolitische Offensive der SPD-geführten Senate zwar zu viel Neubau geführt habe, davon aber nur jede vierte Wohnung als Sozialwohnung entstanden sei - Zahlen, die noch unter dem offizielle angestrebten »Drittelmix« aus geförderten, frei finanzierten und Eigentumswohnungen liegen. »Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen haben nach wie vor große Probleme auf dem Wohnungsmarkt«, beobachtet Mietervereinschef Chychla.
Laut einer NDR-Umfrage befürworten 69 Prozent der Hamburger mehr staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt, das Thema ist eines der wichtigsten im Wahlkampf. Am 23. Februar wird in der Stadt eine neue Bürgerschaft gewählt. Derzeit haben SPD und Grüne in dem Landesparlament eine Mehrheit.
Der grün-rot verwaltete Bezirk Hamburg-Nord hat inzwischen den Bau von Einfamilienhäusern untersagt, um eine Verschwendung von wertvollen Flächen zu vermeiden. In diesen Tagen hat der rot-grüne Senat den Stadtteil Jenfeld unter eine Soziale Erhaltungsverordnung gestellt, um einsetzende Verdrängungsprozesse zu vermeiden. Vor 20 Jahren galt Jenfeld vielen Hamburgern noch als schmuddelig, inzwischen steigen auch dort Mieten und Eigentumsquote.
Die Stadtregierung will städtische Flächen künftig nur noch im Erbbaurecht verpachten, um den eigenen Gestaltungsspielraum zu erhöhen. »Die Vergabe im Erbbaurecht sorgt dafür, dass Neubauprojekte günstiger werden«, sagt Olaf Duge. Der Stadtentwicklungsexperte der Grünen geht davon aus, dass so auch Mietbeschränkungen und Sozialbindungsfristen besser durchzusetzen sind: »Der freifinanzierte Teil im Drittelmix muss weg von renditeorientierten Maximalmieten hinzu zu langfristigen Mietbindungen ohne Förderung.« Angestrebt wird, dass ein Quadratmeterpreis von höchstens zehn Euro für zumindest zehn Jahre festgeschrieben wird.
Die SPD will die Zahl der neuen Sozialwohnungen von 3000 auf 4000 pro Jahr steigern, die Grünen plädieren für ein zweites kommunales Wohnungsunternehmen neben der SAGA, der in Hamburg 130 000 Wohnungen gehören. Außerdem sollen Vermieter, die die juristischen Grenzen bei Mieterhöhungen nicht ausreizen, als »Fairmieter« steuerlich bevorteilt werden.
Streitfall Sozialwohnungen
Die oppositionelle CDU kritisiert derlei staatliche Eingriffe und plädiert für eine vereinfachte Eigentumsbildung, die im Zweifel auch außerhalb der Stadtgrenzen erfolgen könne. »Um Hamburg als Markt zu entlasten, müssen wir auch das Umland in die Pflicht nehmen«, erklärt Stadtentwicklungsexperte Jörg Hamann. Ein gemeinsamer Flächennutzungsplan von Hamburg und seinen Randgemeinden im »Speckgürtel« solle zukünftig »nicht nur Einfamilienhaus-Gebiete« ausweisen.
Nichtsdestotrotz befürwortet auch eine Mehrheit der CDU-Anhänger laut der NDR-Umfrage mehr staatliche Eingriffe. Die FDP setzt vor allem auf Entbürokratisierung, um private Investoren zu überzeugen. Ihr Experte Jens Meyer geißelte die Pläne der Volksinitiativen als »sozialistische Experimente«. So drückt sich Senatorin Stapelfeldt nicht aus, doch auch die Sozialdemokratin dürfte nicht zu den Unterzeichnern gehören, da sie die Festlegung auf 100 Prozent geförderten Wohnungsbau auf städtischem Grund ablehnt. »Wir haben Großsiedlungen gehabt, in denen wir eine Konzentration von Sozialwohnungen hatten«, argumentiert Stapelfeldt: »Das hat zu sozialen Problemen geführt, die wir seitdem versuchen, zu beheben.«
Der Anteil der theoretisch sozialwohnungsberechtigten Haushalte liegt in Hamburg allerdings bereits bei über 40 Prozent, sodass hier bereits eine gewisse »Durchmischung« gegeben wäre. Außerdem seien radikale Schritte erforderlich, um die aktuelle Abnahme des Sozialwohnungsbestands durch Ablauf der Bindungsfristen aufzufangen, argumentieren Befürworter der Initiativen. Bis zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar wollen die beiden Volksinitiativen die erforderlichen 10 000 Unterschriften gesammelt haben.
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