Gefahr der Spaltung

Thüringer CDU in verfahrener Lage, jetzt folgt die Parteichefin.

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Der politische Dammbruch polarisiert auch die Wählerschaft: Das Ränkespiel der AfD mit den sogenannten bürgerlichen Parteien CDU und FDP im Thüringer Landtag lässt die Umfragewerte von Rot-Rot-Grün in die Höhe schnellen - und die der CDU abstürzen. Linkspartei, SPD und Grüne würden bei einer Neuwahl derzeit mit 53 Prozent eine absolute Mehrheit erzielen, wie eine Erhebung des Forschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL/ntv ergab. Die CDU müsste mit Verlusten von fast zehn Punkten rechnen und würde bei zwölf Prozent landen, die FDP mit vier Prozent den Einzug ins Parlament verpassen. Auch die AfD würde leicht zulegen.

Die Zahlen erklären die vehemente Verweigerung Mike Mohrings gegenüber Neuwahlen. Bei einer nächtlichen Krisensitzung der CDU-Führung in Erfurt mit Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer setzte sich der CDU-Partei- und Fraktionschef mit seiner Auffassung vorerst gegen die der Bundespartei durch. Diese hatte sich für schnellstmögliche Neuwahlen ausgesprochen. Einen Gewinner gab es nach der stundenlangen Auseinandersetzung jedoch nicht. Im Gegenteil, Tränen soll es gegeben haben. Mohrings Tränen. Zwar hatte der Landesvorstand ihm erst am Donnerstag das Vertrauen ausgesprochen. In der eigenen Fraktion aber habe er keinen Rückhalt mehr, hieß es am Freitag. Seine Tage könnten also gezählt sein. Er wolle bis zur Wahl des neuen Fraktionsvorstandes im Mai den Übergang organisieren, berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk.

Ob Mohring sich tatsächlich bereits in sein Schicksal fügt, wird die Zukunft erweisen. Hartnäckig bleibt er bei seinen Botschaften: «Neuwahlen lösen die Problematik der schwierigen Situation in Thüringen nicht auf», sagte er. Der Landtag müsse jetzt eine Lösung finden «und die liegt definitiv nicht in Neuwahlen». Immerhin hat Kramp-Karrenbauer ihm für eine Lösung «innerhalb des Parlaments» und ohne Neuwahlen eine Frist eingeräumt. Doch welche Lösung könnte das sein? Einzige Alternative ist eine Wahl Bodo Ramelows und damit seiner rot-rot-grünen Minderheitsregierung, wenn man nicht den Skandal vom Mittwoch wiederholen und gemeinsame Sache mit der AfD machen will.

Unverdrossen blieb die CDU am Freitag jedoch bei ihrer längst gescheiterten Linie eines «alternativen Kandidaten», also eines der sogenannten bürgerlichen Mitte. Nach einer CDU-Präsidiumssitzung appellierte Kramp-Karrenbauer an SPD und Grüne, einen Kandidaten zu benennen, «der das Land nicht spaltet, sondern das Land eint». SPD und Grüne haben dies bereits mehrfach abgelehnt. Am Freitag wiederholte die SPD-Vizevorsitzende Diana Lehmann diese Ablehnung. Auch der CDU-Vorsitzenden kann am Ende nicht gelingen, was Mike Mohring über Wochen vergeblich versuchte: die Mathematik auszutricksen. Ohne AfD beziehungsweise ohne Linkspartei gibt es keine Mehrheit im Landtag, auch nicht für einen «alternativen Kandidaten». Wer sich also nicht noch einmal von der AfD wählen lassen will, muss auf die Linkspartei hoffen - ein abenteuerliches Ansinnen nach dem Eklat vom Mittwoch.

Sollte es keine parlamentarische Lösung geben, sei eine Neuwahl unausweichlich, schob Kramp-Karrenbauer ihrem Ausflug in die Tiefen der Thüringer Politik nach. Am Freitag kam es in Erfurt immerhin zu einem Treffen zwischen CDU, Linkspartei, SPD und Grünen über das weitere Verfahren. Ob sich die CDU-Fraktion zur Stimmenthaltung im Falle einer Wahl Bodo Ramelows durchringt oder den aussichtslosen Weg eines «alternativen Kandidaten» beschreitet, blieb da noch offen. Nur bei einer absehbar realistischen Mehrheit werde Ramelow erneut zu einer Wahl antreten, stellte die Thüringer Linksparteichefin Susanne Hennig-Wellsow klar.

Für die CDU steht in Thüringen mehr auf dem Spiel, als in der oben genannten Umfrage deutlich wird. Im Verhältnis zur AfD ist die Bundespartei in Ost und West gespalten. Das hat seinen Grund im Aufwuchs der AfD besonders im Osten. Unter diesem Eindruck verschieben sich die Gewichte der Landesparteien nach rechts. Es gab Zeiten, da eine CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht zusammen mit Bodo Ramelow an einer Demo gegen Rechts teilnahm. Wäre das auch mit Mike Mohring vorstellbar?

Der Dammbruch in Erfurt lässt den Ernst der Lage in der CDU plastisch werden. Schon vor Monaten warnte die Politologin Ursula Münch im Deutschlandfunk vor einer Spaltung der CDU. Die Haltung zur AfD habe das Potenzial, die Partei zu zerreißen. Dies erklärt möglicherweise die Vehemenz, mit der etwa der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder die AfD verdammt. Auf dem letzten CDU-Parteitag in Leipzig verlangte er Abgrenzung: Die AfD sei nicht eine besonders konservative Partei, sondern sie sei in Wirklichkeit die NPD, «und die bekämpft man. Klare Linie, klare Kante, AfD ist Feind.» Vor diesem Konflikt sind die jüngsten Äußerungen auch des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bemerkenswert. Auch unter dem Eindruck des Erfolgs der AfD bei der letzten Wahl in Sachsen forderte er nun die CDU in Thüringen auf, eine Verständigung mit der Linkspartei zu suchen.

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