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Kaltstart im Klassenzimmer
Der Quereinstieg an Berliner Schulen ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden
»Ich bin sehr erleichtert, dass ich zum Halbjahreswechsel die Klassenleitung abgeben konnte«, sagt Tim Nowak. Die Winterferien hatten dem Quereinsteiger, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, eine Atempause verschafft. Die hatte er dringend nötig: Seit einem halben Jahr arbeitet der 38-Jährige als Kunst- und Sachunterrichtslehrer an einer Lichtenberger Grundschule - und das ist alles andere als ein Spaziergang.
Nowak hat Kunst studiert und lange als freier Künstler gearbeitet. Mit Mitte 30, erzählt er, spürte er, dass es für ihn an der Zeit ist, sich weiterzuentwickeln. Vor zwei Jahren entscheidet er sich dann für den Quereinstieg in den Grundschullehrbetrieb. »Ich hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern. Und ich habe einen sicheren Job gesucht, der sich in Teilzeit mit meiner Arbeit als freier Künstler verbinden lässt.« Kunstlehrer*innen werden an Berliner Grundschulen dringend gesucht. Nowak bewirbt sich gezielt in Lichtenberg, er weiß, dass dort mit am dringendsten nach Personal gesucht wird. Eine der Schulen meldet sich prompt zurück, gleich am nächsten Tag bekommt er einen Vorstellungstermin und wird direkt eingestellt.
Ausreichend ausgebildet fühlt sich der Künstler jedoch auch ein knappes Jahr später noch nicht. Anfang 2019 absolviert er einen einwöchigen Crash-Kurs der Senatsbildungsverwaltung und nimmt an einem zweimonatigen Paten-Kurs teil. »Meine Patin war nett, aber sie hat mich als Job-Coach beraten, nicht im Hinblick auf pädagogische Fragen«, erzählt Nowak. Der Schuljahresbeginn im August 2019 sei ein »Sprung ins kalte Wasser« gewesen. Die Schule selbst bietet die Möglichkeit, an einer »Quer-Qualifikation« teilzunehmen. Dies sei aber keinesfalls Standard, weiß Nowak.
Angesprochen auf die Reaktionen der Fachkolleg*innen auf die Quereinsteiger*innen, berichtet der »Neulehrer«: »Es gibt viel Unterstützung.« Die meisten seien froh, lobten Motivation und Energie der neuen Kolleg*innen. Aber: »Wir sind zu viele«, sagt Nowak. 14 Quereinsteiger*innen sind es allein an seiner Schule in diesem Schuljahr. Sie alle werden von etwa 50 ausgebildeten Lehrer*innen betreut. Eine Mammutaufgabe: »Dass man didaktisch kaum ausgebildet ist, weiß man als Quereinsteiger selbst. Manche ältere Fachkolleg*innen lassen uns das aber auch spüren. Sie denken, die Schule stellt nur noch Quereinsteiger ein, weil diese billiger sind als Fachpersonal.«
Dabei wird Fachpersonal bei Einstellungen stets bevorzugt. Es will nur kaum jemand nach Lichtenberg. Der Fachkräftemangel an seiner Schule führt dazu, dass Nowak, zusammen mit einer weiteren Quereinsteigerin, quasi vom ersten Tag an vier Klassen betreut. »Zwei Menschen, die noch nie vor einer Klasse standen, müssen sich ständig selbst helfen und bei allen Fragen und Konflikten, die auftauchen, aus dem Bauch heraus handeln«, berichtet er. »Alles, was neu für uns ist, müssen wir im laufenden Betrieb klären.«
Dazu bekommt Nowak die Leitung einer Klasse übertragen, ohne überhaupt gefragt worden zu sein. Der Quereinsteiger wertet das zunächst als Vertrauensbeweis. »Aber richtig ist das nicht, das habe ich schnell verstanden.« Eine Klassenleitung müsse in der Woche mindestens sieben Stunden bei den Kindern sein. Für den Fachlehrer Nowak mit nur fünf Wochenstunden überhaupt nicht zu schaffen. Dies gehe zu Lasten der Kinder, die viel Zeit für den Beziehungsaufbau bräuchten, bedauert der Kunstlehrer.
Bereits nach wenigen Wochen ist der 38-Jährige am Ende seiner Kräfte und wird krank. Er spürt den Stress und möchte die Klassenleitung abgeben. Man bittet ihn, noch etwas »durchzuhalten«. Aber die Engpässe sind kein vorübergehendes Phänomen: An der Schule gibt es sechs erste Klassen sowie fünf zweite und dritte. Danach werden es etwas weniger, die vierte Klasse ist vierzügig, die fünfte und sechste dreizügig. Es sei eng, so Nowak, und »aggressiver, als es sein müsste«. Es gebe viel Bedarf an Elterngesprächen, die er als Quereinsteiger jedoch gar nicht leisten könne, auch und vor allem deshalb, weil er sich damit überfordert fühlt.
Die Schulen seien zu voll, es gebe viele Konflikte, viele Kinder kämen aus schwierigen Elternhäusern, konstatiert der Neulehrer. Das spiegle sich auch auf dem Schulhof wieder: »Die Kinder fallen vom Klettergerüst - einfach, weil dort zu viele Kinder spielen.« Auch im Kollegium schlage sich der Stress und die Überforderung nieder: »Von 60 Personen ist mindestens ein Fünftel ständig krank«, erzählt er.
Das müssen auch die Quereinsteiger*innen auffangen - ohne entsprechende Routine zu haben. Dazu komme, dass die Eltern in der Regel nicht wissen, dass die Lehrer*innen ihrer Kinder keine ausgebildeten Fachkräfte sind - ein Grund, warum Nowak nicht unter seinem echten Namen über seine Situation sprechen möchte. »Die gehen auf uns zu wie auf ausgebildete, erfahrene Lehrkräfte«, berichtet er. Die Schulleitung, ist sich Nowak sicher, stecke in derselben Misere wie die Quereinsteigenden. Er sieht den Senat in der Verantwortung.
»Kein anderes Bundesland qualifiziert seine Quereinsteigenden so umfassend und professionell wie das Land Berlin«, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung. In der Regel durchliefen die Quereinsteigenden eine dreieinhalb- bis viereinhalbjährige berufsbegleitende Qualifizierungsphase, so Sprecherin Iris Brennberger. Dafür erhalten sie ein bezahltes Studium und eine unbefristete Stelle. »Vor dem Hintergrund des derzeitigen Bedarfs ist diese Qualifizierung sehr umfassend und versucht, sowohl den individuellen Wünschen der Quereinsteigenden als auch den Anforderungen des Schulsystems möglichst weitgehend gerecht zu werden.«
Viele Quereinsteiger*innen machen da andere Erfahrungen: »Mir macht die Arbeit an sich großen Spaß«, sagt Quereinsteiger Nowak. »Es fühlt sich aber überhaupt nicht gut an, den eigenen Anspruch an Professionalität nicht erfüllen zu können.«
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