Geheimdienst in der Hosentasche

Behörden verschicken vermehrt stille SMS - Regierung schweigt zu technischen Details

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Polizei verschickt eine SMS. Diese hat weder einen sichtbaren Inhalt, noch wird der Adressat per Benachrichtigung über deren Eingang informiert. Beim Abruf der SMS werden allerdings Verbindungsdaten beim Mobilfunkanbieter erzeugt, die auch den Standort des Handys enthalten. Diese Informationen werden später von der Polizei abgerufen. Werden mehrere solcher »stillen SMS« versandt, lassen sich mit diesen Daten Bewegungsprofile von Handynutzern erstellen.

Verschiedene Bundesbehörden greifen wieder häufiger auf diese Überwachungstechnik zurück. Das hat eine Kleine Anfrage der Linkspartei ergeben. Die Bundespolizei verschickte demnach im zweiten Halbjahr 2019 fast 28 000 stille SMS, im ersten Halbjahr waren es noch knapp 20 000 gewesen. Mehr als verfünffacht haben sich im selben Zeitraum die stillen SMS, die durch das Bundeskriminalamt (BKA) versandt wurden. Sie stiegen von etwa 6300 auf rund 35 000.

Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, kritisierte die Überwachungspraxis der Behörden: »Das Urteil, das der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune vor zwei Jahren beim Bundesgerichtshof zur Einhegung von stillen SMS erstritt, scheint folgenlos zu sein.« Offensichtlich erhielten die Behörden jede Genehmigung, die sie wünschen. 2018 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den Einsatz von stillen SMS für rechtmäßig erklärt, nachdem Theune geklagt hatte. Zuvor wurden stille SMS rechtlich wie die generelle Handyüberwachung gehandhabt. Bei dieser ist rechtlich vorgeschrieben, dass sie passiv erfolgen muss. Bei der Nutzung von stillen SMS würden die Ermittlungsbehörden jedoch die Standortdaten aktiv erzeugen, so die Argumentation des Klägers Theune. Dieser Position schloss sich der BGH an.

Seitdem darf die Nutzung von stillen SMS ausschließlich über den Paragrafen angeordnet werden, welcher auch die Nutzung von sogenannten IMSI-Catchern regelt. Diese schalten sich zwischen Funkmast und Mobiltelefon und können so unter anderem die Kennungsdaten der Handys auslesen sowie die Mobiltelefone innerhalb der Funkzelle orten. Auch dieser Überwachungsmechanismus erfährt rege Benutzung durch die Behörden. In der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres setzten BKA und Bundespolizei IMSI-Catcher in 46 Fällen ein, 15 Mal häufiger als im ersten Halbjahr.

Zur Nutzung von stillen SMS durch weitere Bundesbehörden, beispielsweise den Zoll oder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), machte die Bundesregierung keine Angaben. Das BfV hatte zu Hochzeiten wie dem zweiten Halbjahr 2017 über 180 000 stille SMS versendet. Seit 2019 sind die Zahlen als geheim deklariert. Durch die regelmäßige Beantwortung der Kleinen Anfragen sei eine »Verdichtung« von Informationen eingetreten, die Rückschlüsse auf die Fähigkeiten des BfV zuließe. Dies könne aus »Gründen des Staatswohls« nicht mehr hingenommen werden.

Ähnlich verschwiegen gibt sich die Bundesregierung hinsichtlich der Nachfragen zu den technischen Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden. Die Herausgabe von Informationen zur Überwachung von Chatprogrammen wird verweigert. Die Regierung begründet dies damit, dass Personen, die unter Beobachtung stehen, »auf andere Kommunikationswege ausweichen« könnten. Inwieweit die Ermittlungsbehörden also verschlüsselte Messengerdienste wie Threema oder Signal auslesen, ist nicht bekannt.

Verschlüsselte Kommunikation wird für die Behörden dabei zunehmend zum Problem. Das zeigt beispielsweise die vom BKA-Chef Holger Münch angestoßene »Vordertür-Debatte«. Münch hatte im November vergangenen Jahres gefordert, dass Anbieter verschlüsselter Chatprogramme zur Speicherung einer unverschlüsselten Kopie der Inhalte verpflichtet werden sollen. Wo für die Nutzer der Unterschied zu einer »Hintertür«-Lösung liegt, bei der in den Programmen Lücken für Spionagesoftware gelassen werden sollten, ist unklar.

Ein weiterer Anhaltspunkt für die zunehmenden Versuche, auf verschlüsselte Kommunikation zuzugreifen, ist die Nutzung des »Entschlüsselungszentrums« von Europol durch das BKA. Seit 2014 hat die Bundespolizeibehörde der Antwort auf die Kleine Anfrage zufolge insgesamt sechs Mal um Entschlüsselung gebeten. Welche Anwendungen und Geräte genau von der Entschlüsselungsplattform dechiffriert werden können, gibt die Bundesregierung mit dem Hinweis auf fehlende Detailkenntnis nicht an. »Wieder zeigt sich der Trend, dass Überwachungsmaßnahmen, die im eigenen Land schwer durchsetzbar sind, über die Ebene der Europäischen Union eingeführt werden«, kommentierte Hunko.

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