Yücel-Prozess in der Türkei

Staatsanwalt fordert bis zu 16 Jahre Haft

  • Lesedauer: 4 Min.

Istanbul. Im Prozess gegen den »Welt«-Reporter Deniz Yücel wegen Terrorvorwürfen in der Türkei hat der Staatsanwalt bis zu 16 Jahre Haft gefordert. Das sagte Yücels Anwalt Veysel Ok am Gericht am Donnerstag. Der Staatsanwalt hatte zuvor sein Plädoyer nicht laut verlesen, sondern schriftlich eingereicht. Ok forderte mehr Zeit für die Verteidigung. Der Prozess soll nun am 2. April fortgesetzt werden. Yücel selbst war nicht anwesend.

Der Staatsanwalt forderte Strafen wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei und der EU als Terrororganisation gilt, sowie wegen Volksverhetzung. »Beides ist rechtswidrig«, sagte Ok. Denn es gebe ein Urteil des Verfassungsgerichts demzufolge Yücels Artikel im Rahmen der Pressefreiheit gewesen seien. Entweder habe der Staatsanwalt es nicht gelesen oder er habe es ignoriert, sagte Ok.

Hinsichtlich des Vorwurfs, für die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen Propaganda betrieben zu haben, forderte der Staatsanwalt Freispruch. Die türkische Regierung macht Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich. Zusätzlich fordert der Staatsanwalt aber Bestrafung wegen Präsidentenbeleidigung - ein Vorwurf, der zuvor nicht aufgetaucht war. Dazu solle eine neue Anklage gegen Yücel erhoben werden, sagte Ok.

Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, Christian Mihr, kritisierte die Strafmaßforderungen »aufs Schärfste«. »Dass man dieses hohe Strafmaß fordert und zusätzlich ein weiteres Verfahren eröffnen will, das zeigt uns - auch gerade angesichts der nicht vorhandenen Substanz der Vorwürfe - einmal mehr, dass es ein willkürliches, politisches Verfahren ist«, sagte er.

Der Fall um den Journalisten hatte die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Yücel saß von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri - lange Zeit in Einzelhaft. Mit seiner Entlassung und der Ausreise nach Deutschland wurde Anklage wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung erhoben.

Als Belege für die Anschuldigungen wurden auch Artikel angeführt, die Yücel in seiner Zeit als Türkei-Korrespondent veröffentlicht hatte - unter anderem ein Interview mit PKK-Kommandeur Cemil Bayik. Die Staatsanwaltschaft warf Yücel in dem Zusammenhang vor, die PKK als »legitime und politische Organisation« darzustellen.

Im Juni erklärte das türkische Verfassungsgericht die einjährige Untersuchungshaft für rechtswidrig. Zum Interview mit Bayik erklärten die Richter beispielsweise, Yücel könne nicht für dessen Aussagen verantwortlich gemacht werden. Das Interview könne ihm nicht als Terrorpropaganda ausgelegt werden. Das Gericht bemängelte auch, dass Yücels Artikel teilweise fehlerhaft übersetzt worden waren.

Yücel kritisierte am Donnerstag in einem Tweet, die Staatsanwaltschaft habe das Urteil des Verfassungsgerichts ignoriert und sich höher als das höchste Justizorgan gestellt. In weiteren Tweets setzte er sich gegen einige Anklagepunkte zur Wehr.

Yücel hatte im Mai 2019 im Rahmen der Rechtshilfe vor einem Richter in Berlin ausgesagt. Er sei während der Haft gefoltert worden, sagte er und machte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verantwortlich. Wie eine schriftliche Fassung der Aussage zeigt, berichtete er von Schlägen, Tritten, Erniedrigungen und Drohungen durch Vollzugsbeamte. Das Außenministerium in Ankara wies die Vorwürfe zurück.

2017 hatte eine ganze Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger aus »politischen Gründen« zu einer tiefen Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Yücel war der wohl prominenteste Fall. Auch die Festnahme der Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu und des Menschenrechtlers Peter Steudtner sorgten für Protest. Gegen beide gehen, ebenfalls in Abwesenheit, ähnliche Prozesse weiter. Im Fall Steudtner könnte in der nächsten Verhandlung am 19. Februar ein Urteil fallen.

Insgesamt sitzen zurzeit nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom Mittwochabend 70 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft. Außerdem seien 70 Fälle von Deutschen bekannt, die aufgrund von Ausreisesperren die Türkei nicht verlassen könnten. Die Behörde zählt die aus »politischen Gründen« inhaftierten Deutschen öffentlich nicht mehr gesondert.

Am Donnerstag war in seiner Abwesenheit auch der Prozess gegen den wegen Terrorvorwürfen angeklagten Kölner Adil Demirci fortgesetzt worden. Er wurde nach kurzer Verhandlung in Istanbul vertagt. Weiter gehe es am 16. Juni, sagte Demirci. Im Juni 2019 hatte er die Türkei nach 14 Monaten U-Haft und Ausreisesperre verlassen können. dpa/nd

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