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  • DIE LINKE

Kommunalpolitisches aus den Augen verloren

  • Gabi Zimmer
  • Lesedauer: 7 Min.

Endlich beginnt die Linkspartei darüber zu diskutieren, worin ihre Verantwortung angesichts zunehmender globaler Bedrohungen und wachsender Gewalt gegen Menschen und Natur besteht. Die Debatte über eine linke, die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse anstrebende Strategie ist dringlicher denn je. Es geht nicht um die Machtfrage in der Partei, nicht darum, welche Netzwerke, Kräfte- und Interessengruppierungen sich durchsetzen.

Es geht darum, ob DIE LINKE willens und in der Lage ist, zur Herausbildung eines mächtigen linken Blocks und eines politikwirksamen Mitte-unten-Bündnisses gegen herrschende Politik und für linke Gesellschaftsalternativen auf allen Handlungsebenen – von der lokalen, regionalen über die Bundes- und EU-Ebene bis zur globalen – beizutragen.

Gabi Zimmer

Gabi Zimmer war von 1990 bis 1998 Landeschefin der PDS in Thüringen, von 2000 bis 2003 Bundesvorsitzende der Partei und von 2004 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Bis auf die Landtagswahlen in Thüringen hat die Linkspartei im vergangenen Wahljahr heftige Niederlagen einstecken müssen. Die Ursachen sind vielfältig, aber eins ist auch offensichtlich: Durch die Entgegensetzung von Zielgruppen (urbane Milieus oder Arbeiterklasse), die Priorisierung der nationalen Handlungsebene gegenüber anderen Ebenen wie den Kommunen, Regionen oder eben auch der EU, der europäischen und globalen Ebene hat die Linkspartei sich selbst geschwächt. Wenn ich als Politikerin, die sich lange Zeit landes-, bundes- und europapolitisch für die PDS und für DIE LINKE engagiert hat, mich dazu äußere, wie dringlich und unverzichtbar die regionalpolitische Kompetenz einer linken Partei mit Blick auf ihre gesellschaftsverändernde Wirkung ist, dann deshalb, weil es schmerzlich ist, wie sehr wir einstige Stärken aus den Augen verloren haben.

So wichtig Bundespolitik und EU-Rahmenbedingungen sind: Es geht um die Art und Weise, wie der Kampf um eine sozial-ökologische Transformation, für eine nachhaltige Energie- und Klimawende, gegen Ausgrenzung und für ein solidarisches Miteinander kreativ und gemeinsam mit den Menschen vor Ort geführt wird. Wenn wir feststellen, dass nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung für ganze Regionen in Deutschland und in anderen EU-Ländern ein Fremdwort ist, Lebensbedingungen wie Infrastruktur, wohnortnahe Arbeitsplätze und Schulen, ÖPNV, Kultureinrichtungen, medizinische Versorgung oftmals nicht nur stagnieren, sondern massiv rückgängig sind, soziale Standards und Einkommensentwicklung immer weiter auseinanderdriften, dann sollten gerade bei uns Linken alle Alarmglocken schlagen.

Die von einigen Wirtschaftsinstituten propagierte These, nur die prosperierenden Regionen zu fördern und letztlich die anderen »sterben« zu lassen, ist schlicht zynisch. Es hat mit Menschlichkeit und Respekt gegenüber jenen Menschen nichts zu tun, die in diesen Regionen oftmals viele Jahre gearbeitet und gelebt haben, für die diese Orte Zuhause und Vertrautsein bedeuten. Und die das Recht auf eine lebenswerte und zukunftsfähige Perspektive ihrer Regionen haben.

»Die Linkspartei hat ihr Image als Partei des Ostens verloren«, stellten Medien und Politikwissenschaftler*innen im Herbst lakonisch fest. Noch Jahre zuvor galt insbesondere die Vorgängerin der Partei als zu »ostig«, hatte sie doch vorwiegend im Osten Deutschlands ihre Stammwählerschaft und war zudem über Gemeinde- und Stadträte, zahlreiche Bürgermeister*innen und alle Landtage bis in den Bundestag stark vertreten. Es war also nicht verwunderlich, dass die Aktiven die Probleme in ihren Kommunen und Regionen sehr gut kannten.

Die von Kohl nach der Vereinigung versprochenen blühenden Landschaften waren lange Zeit ausgeblieben und machen um einige Regionen bis heute noch einen großen Bogen. Die Treuhand hatte ihren politischen Auftrag zur Privatisierung der ehemaligen Betriebe der DDR brachial umgesetzt. Viele wurden für einen Appel und ein Ei verhökert und anschließend als Standort geschlossen. Am meisten verloren die Frauen – oft hochqualifiziert und beruflich erfahren, passten sie nicht in die Vorstellungswelt vieler, die nun den Osten den Kapitalismus lehrten. »Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit im Osten ist die unnatürliche Erwerbsneigung der Frauen« – solch dümmliche Ansagen wie die des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Bernhard Vogel in Thüringen beleidigten die Menschen.

Zudem setzte eine massenhafte Dequalifizierung von Frauen ein. Von der Ingenieurin oder Technikerin wurden sie zu Floristinnen umgeschult. Soviel Floristinnen hat der ganze Osten in 40 Jahren DDR nicht gehabt. Wer aber einmal eine Umschulung in einen niedriger qualifizierten Beruf machte, brauchte nie wieder durch das Amt für Arbeit in die Qualifikation vermittelt werden. Hat eigentlich irgendwer mal all jene Frauen und Männer gezählt, die – obwohl im erwerbsfähigen Alter – in den 1990er Jahren erst ihren Arbeitsplatz verloren, dann eventuell umgeschult wurden, als ABM sich durchschlugen und dann irgendwann, gleichsam schleichend, aus den Statistiken der Arbeitsämter für immer herausfielen? All das trug zu den bekannten Abwanderungen aus vielen Regionen bei – insbesondere qualifizierter Fachkräfte, darunter auffällig viele junge Frauen.

All diese Veränderungen im Osten sehend, hatte die PDS 1998 auf ihrem Parteitag das »Rostocker Manifest – Für einen zukunftsfähigen Osten in einer gerechten Republik« (siehe Kasten) debattiert und verabschiedet. Darin wurde Bilanz gezogen über die Ergebnisse staatlicher Einheit, wurde registriert, dass sich statt eines selbsttragenden Wirtschaftsaufschwungs im Osten der Republik der Abstand zwischen Ost und West vergrößerte.

Die PDS ging damals offensiv mit der nicht überwundenen Teilung Deutschlands um und mahnte, dass die Fortsetzung einer Politik, die Ostdeutschland in einen alimentierten Sozialfall verwandle, zu schwerwiegenden Verwerfungen führe. Sie schlug stattdessen für die neuen Bundesländer ein Pilotprojekt »Gerechtigkeit und Entwicklung« vor, das das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen stärkt, ihre Fähigkeiten nicht entwertet, sondern nutzt, ihnen mehr Verantwortung zur demokratischen Selbstbestimmung überträgt. Gleichzeitig zielte das Pilotprojekt Ost auf einen Wandel des Ostens nach den Maßstäben von sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Entwicklung und demokratischer Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.

Ich erwecke keine Toten zu Lebenden, indem ich auf das »Rostocker Manifest« von 1998 verweise, ich betreibe keinen nostalgischen Rückblick oder wende mich gar gegen die Vereinigung von PDS und WASG zu einer gleichermaßen im Westen wie im Osten verankerten linken sozialistischen Partei. Ich erinnere daran, um deutlich zu machen, dass es zum Wissensbestand, zum Schatz selbst gemachter Erfahrungen von Sozialistinnen und Sozialisten gehören sollte, dass gesellschaftliche Transformationen nur möglich sind, wenn sie nicht auf der Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen oder Regionen beruhen. Eine solche Veränderung und Stärkung des Ostens und der Menschen, die in ihm leben, hätte das Potenzial zur Veränderung der gesamten Bundesrepublik Deutschland in sich getragen. Es wäre dann eben nicht bei dem Grundsatz geblieben, der Westen übernimmt den Osten, sondern das Beste beider fließt in das neue Deutschland ein.

So wie das Gebiet der DDR nach der Herstellung der staatlichen Einheit als Region betrachtet werden konnte, da wirtschaftliche Entwicklungen, soziale und kulturelle Erfahrungen der Menschen vergleichbar waren, lassen sich Regionen im größeren und im kleineren Maßstab in der Bundesrepublik von heute, in der EU, in Europa, in der Welt definieren. Sie spiegeln gleichzeitig politische Räume wider, die regelrecht dazu einladen, Entwicklungspotenziale zu erkennen, Handlungsoptionen zu definieren und zu Kooperationen einzuladen.

Leider haben die PDS und später auch DIE LINKE nicht konsequent diese Karte gespielt. Es scheint so, als habe die PDS im Moment ihres größten Erfolges, nach der Bundestagswahl 1998, gleichzeitig diese eine ihrer wichtigsten Stärken aufs Spiel gesetzt. Vielleicht weil sie den Vorwurf der Ostlastigkeit zunehmend als Problem empfand, anstatt ihn produktiv, gesamtdeutsch, europäisch zu besetzen. Ex oriente lux.

Das ist bedauerlich, zumal es vielfältige inhaltliche Vorschläge zur Entwicklung der Regionen, zur Stärkung der Kommunen vor allem unter Nutzung und Ausbau vorhandener Potenziale gibt, Kooperationen mit Wissenschaftler*innen und Kommunalpolitiker*innen gibt. Diese sollten uns heute ermutigen, den Faden wieder aufzunehmen, und uns als Partei in die Zukunftsdebatten gerade jener Regionen einzubringen, die angesichts der Klima- und Energiewende vor riesigen Herausforderungen stehen. Ob in der Lausitz, den Tagebaurevieren in Sachsen-Anhalt oder in Nordrhein-Westfalen.

Das gilt im gleichen Maße auch für die Linken in Europa. Regionen sind vielfältig, machen auch nicht immer vor Verwaltungs- oder Staatsgrenzen halt. Wir sind heute gefordert, Kämpfe um die Lebensbedingungen in den Regionen, die Verteidigung sozialer- und beschäftigungspolitischer Rechte, des ökologischen Umbaus über die nationalen Grenzen hinaus solidarisch zu unterstützen, transnational zu kooperieren. Die Rechte der einen nicht über die Rechte der anderen zu stellen.

Die heutige EU hat vielfach beim Streit um regionale Konflikte in ihren Mitgliedsländern versagt. Was sie oftmals als Nichteinmischung in innere Angelegenheit eines Mitgliedsstaates bezeichnet, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Unfähigkeit, aus der Logik von Standortkonkurrenz und neoliberalen Wirtschaftswachstums, der Herrschaft des Stärkeren über den Schwächeren auszubrechen und sich auf die Lebensbedingungen von Menschen an ihrem Lebensort zu fokussieren.

Diese Logik ist nicht unsere. Gesellschaftliche Veränderungen sind nur möglich, wenn es gelingt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verändern. Das schließt die Stärkung der Kommunen und Regionen, den Ausbau der demokratischen Mitwirkung und -gestaltung ein.

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