Ein Rassist und Verschwörungstheoretiker

Zehn Menschen ermordet, sechs verletzt: Nach den Anschlägen von Hanau ermittelt die Bundesanwaltschaft

An zwei Orten hat der 43-jährige Tobias R. höchstwahrscheinlich am Mittwochabend im hessischen Hanau zugeschlagen. Zunächst schoss er in einer Shisha-Bar um sich, kurz darauf in einem Kiosk. Er tötete neun Menschen mit Migrationshintergrund, unter ihnen fünf türkische Staatsbürger. Sechs weitere Menschen wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Die beiden Tatorte liegen zwei Kilometer voneinander entfernt.

Als die Polizei mitten in der Nacht aufgrund von Zeugenhinweisen auf ein Fluchtfahrzeug die Wohnung von R. erreichte, fand sie ihn und seine 72-jährige Mutter tot auf und den Vater zumindest äußerlich unverletzt. Der Vater werde nicht als Beschuldigter geführt, teilte die Polizei am Donnerstag mit.

Bei den Verbrechen handelt es sich um einen der schwersten rassistischen Anschläge in der Geschichte der Bundesrepublik. Kurz vor seiner Tat stellte Tobias R. eine Homepage ins Internet. Darauf ein kurzer Lebenslauf. Er sei 1977 in Hanau geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dann habe er Zivildienst geleistet. Das Wort Zivildienst setzt er in Anführungszeichen. In Frankfurt am Main absolvierte R. eine Lehre zum Bankkaufmann, danach studierte er in Bayreuth Betriebswirtschaftslehre.

Auf der Homepage fand sich neben Videobotschaften ein 24-seitiges »Manifest«. Darin schreibt R. unter anderem über aus seiner Sicht minderwertige Völker. Er zählt mehrere muslimisch geprägte und asiatische Länder, aber auch Israel auf, die »komplett vernichtet« werden müssten. R. war der Meinung, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik »halbiert« werden müsse, da nicht jeder mit einem deutschen Pass »reinrassig und wertvoll« sei. Nach seiner Vorstellung können alle Probleme der Erde gelöst werden, wenn nur noch 500 Millionen Menschen »germanischer Abstammung« auf ihr leben. Am Ende seines Manifests teilt R. mit, er befinde sich im Krieg gegen die »Degeneration« des Volkes.

Ein Großteil des Textes zeigt allerdings, dass R. auch unter Wahnvorstellungen litt. Seit seiner Geburt will er von einem Geheimdienst oder einer Geheimorganisation überwacht worden sein. Dunkle Mächte übten Gedankenkontrolle aus, schreibt er. Immer wieder seien seine Gedanken und Äußerungen »gestohlen« worden – egal, ob es um Fußball, Kriegsstrategien, Hollywoodfilme oder Slogans von Donald Trump gegangen sei.

Außerdem berichtet R., er habe noch nie eine Beziehung zu einer Frau gehabt. Erst seien seine Ansprüche zu hoch gewesen, dann habe er wegen der Überwachung, unter der er leide, keine Beziehung mehr führen wollen. Damit weist der 43-Jährige starke Bezüge zu den »Incels« auf. »Incel« steht für »involuntary celibacy« (unfreiwilliges Zölibat) und ist zur Selbstbezeichnung einer vor allem in Nordamerika verbreiteten Subkultur weißer, heterosexueller Männer geworden, die Frauen dafür hassen, dass sie keinen Geschlechtsverkehr haben. Die Bewegung fiel wiederholt durch die ausdrückliche Billigung von Gewalt gegen Frauen, extrem rechte Denkmuster und Gewalttaten auf.

Auch wenn der mutmaßliche Täter von Hanau keinen Bezug auf die Incel-Subkultur nimmt, sind gewisse Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Machtfantasien durchziehen sein Manifest ebenso wie Schilderungen von Ohnmachtsgefühlen. So stellt sich R. einerseits als Genie dar, das den Lauf der Weltgeschichte durch seine eigenen Gedanken mitbestimmen kann. Andererseits beschreibt er sein Leid infolge der Überwachung durch eine Geheimorganisation, die er in den USA verortet.

Auf seiner Homepage finden sich zahlreiche weitere Bezüge zu US-Subkulturen von Verschwörungstheoretikern. So hat er Links zu angeblichen Opfern von UFO-Entführungen und zu einem »Nachrichtenportal« gesetzt, das Texte zu allen gängigen Verschwörungstheorien anbietet. Im Manifest gibt R. außerdem an, mehrfach bei Behörden, darunter die Bundesanwaltschaft, um Hilfe wegen der Überwachung seiner Person gebeten zu haben. Die Bundesanwaltschaft prüft, ob eine solche Anzeige bei ihr eingegangen ist.

Zu organisierten Rechtsradikalen in Deutschland hatte R. nach Behördenangaben keine Verbindungen. Bekannt ist allerdings, dass R. Sportschütze war. Seine Waffenbesitzkarte wurde erst im vergangenen Jahr überprüft, und er hatte mehrere Waffen in seinem Besitz. Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler war er nicht vorbestraft.

Während die meisten Politiker die Mordserie als rassistisch verurteilten, erklärte AfD-Chef Jörg Meuthen: »Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren.« Jede Form »politischer Instrumentalisierung« der schrecklichen Taten sei »ein zynischer Fehlgriff«, fügte er hinzu.

Derweil meinte der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in einem Tweet zu den Anschlägen erst einmal auf Taten »linker Chaoten« verweisen zu müssen, bevor er betonte: »Aber so richtig gefährlich wird es für die Demokratie gerade von rechts.«

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