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Kreuzberger Mischung in Gefahr

Hausprojekt »Skalitzer100« wird an Investor verkauft - Bewohner wollen es zurückkaufen

  • Georg Sturm
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitten im Kreuzberger Szenekiez am Görlitzer Bahnhof liegt die Hausgemeinschaft »Skalitzer100«. Ende Januar war bekannt geworden, dass das Haus an einen Investor verkauft werden soll. Die Mieter*innen, das alternative Wohnprojekt, die Gewerbetreibenden und der dort ansässige Kunst- und Kulturverein, fürchteten um ihre Existenz. Sie sehen die »Kreuzberger Mischung« ihrer Hausgemeinschaft in Gefahr.

Von dem Verkauf erfahren hatten die Bewohner*innen durch Zufall. »Es gab ein paar Indizien«, erzählt Elisa Pfennig, die seit fünf Jahren in dem Hausprojekt wohnt. Einige Gewerbemietsverträge seien nicht wie geplant verlängert worden. Zudem sei »eine Gruppe Anzugträger« vor dem Haus aufgetaucht. »Also haben wir eins und eins zusammengezählt und im Grundbuchamt nachgefragt«, erklärt Pfennig. Sie hätten dann den Käufer zum Gespräch eingeladen - und keine Antwort erhalten.

Die Hausgemeinschaft hatte sich daraufhin zum Ziel gesetzt, den Verkauf verhindern: Mit Hilfe des »Mietshäuser Syndikats« sollte das Haus in Selbstverwaltung überführt werden. Während der Bezirk noch die Möglichkeit des ihm zustehenden Vorkaufsrecht prüft, wurde am Donnerstagabend überraschend bekannt, dass der Investor die Ausübung des Vorkaufsrechts mit einer Abwendungsvereinbarung verhindert hat. Damit erklärt sich der Käufer einverstanden, den Milieuschutz - also leistbare Mieten - für die Bewohner zu beachten. Auch dürfen die bestehenden Wohnungen im Zeitraum von sieben Jahren nicht in Eigentumswohnungen umgewandelt oder Luxusmodernisierungen vorgenommen werden.

»Wir stehen noch total unter Schock«, sagte der Mieter Peter Zschiesche am Donnerstagabend. »Die wochenlange Arbeit war quasi umsonst.« Es sei sehr ungewöhnlich, dass eine Abwendungsvereinbarung noch vor einer Entscheidung des Bezirks unterzeichnet werde. Mithilfe von sogenannten Direktkrediten von Freund*innen, Bekannten und Unternehmen hatte das Wohnprojekt bereits so viel Geld gesammelt, dass es einen Kredit für den Kauf des Hauses erhalten hätte.

Peter Zschiesche ist Vorstand des Kunst- und Kulturvereins »Werkstatt-Traum« und hat das Wohnprojekt vor knapp zehn Jahren gemeinsam mit Freunden gegründet. 2011 bezogen sie zwei Etagen in der Skalitzer Straße 100. »Hier herrschte absoluter Leerstand«, erinnert sich der 37-Jährige. Der erste Stock wurde in Eigenregie vollständig renoviert und bewohnbar gemacht. Im Erdgeschoss richteten die Gründungsmitglieder eine Werkstatt ein.

Diese ist nun der Arbeitsort für 16 Künstler*innen, die mit dem Kunst- und Kulturverein eine Nutzungsvereinbarung geschlossen haben. »Die Werkstatt ist ein Raum, in dem alle kreativ sein können«, sagt Pfennig. Daneben veranstalte der Verein jährlich zwei Sommerfeste und einen Weihnachtsmarkt für die Nachbar*innen im Kiez sowie weitere gemeinschaftliche Veranstaltungen wie Lesebühnen, Kinoabende oder Konzerte. Das Atelier sei zudem Beratungszentrum und Treffpunkt für die ganze Hausgemeinschaft.

Im Vorderhaus wohnen in neun Wohnungen Familien, Alleinlebende, Paare und WGs, insgesamt acht Erwachsene und zwei Kinder. Hier befindet sich auch das türkische Familienrestaurant »Heimweh«. Im Hinterhaus sind der Verein »WerkstattTraum« sowie das Wohnprojekt zu Hause. Daneben befinden sich Gewerbeflächen, die von zwei Unternehmen angemietet werden. »Rebeam« verkauft dort recycelte Veranstaltungstechnik und das Unternehmen »Einhorn Products« vertreibt vegane und nachhaltige Kondome.

Die »Skalitzer100« sei beispielhaft dafür, Arbeiten, Wohnen sowie Kunst und Kultur zu vermischen, stellt Pfennig fest. »Solche Projekte braucht ein lebendiges Stadtquartier«, sagt die 28-Jährige. Der Kulturverein werde von den Mitgliedern ehrenamtlich betrieben und biete günstige Räume für Künstler*innen aus der ganzen Welt. »Wir bekommen keinerlei staatliche Unterstützung, das läuft hier alles von alleine«, sagt Pfennig.

Die Hausgemeinschaft möchte den neuen Eigentümer erneut zum Gespräch bitten. Das Ziel: Den Investor davon zu überzeugen, das Haus an die Hausgemeinschaft und das »Mietshäuser Syndikat« weiterzuverkaufen. Um die Kreuzberger Mischung auch langfristig zu erhalten.

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