Frühlingsbeginn auf die »harte Tour«

Die Türkei hat mehrere Ziele in Syrien angegriffen / Treffen zwischen Erdogan und Putin in wenigen Tagen geplant

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Assad nicht einsichtig sei, müsse Syrien seine Lektion eben »auf die harte Tour lernen«, sagte der türkische Botschafter auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Der hatte sich am Freitag auf Antrag Ankaras mit dem syrischen Luftangriff auf türkische Soldaten beschäftigt, bei dem 33 Militärs umkamen.

Die Soldaten waren in der Provinz Idlib mit Rebellengruppen der Hayat Tahrir asch-Scham unterwegs. Das Zusammenspiel beider Anti-Assad-Truppen belegen Fotos, die Rebellen auf türkischen Infanteriepanzern zeigen. Weshalb Russlands UN-Botschafter betonte, dass syrische Regierungstruppen jedes Recht hätten, auf dem Gebiet ihres Landes gegen Eindringlinge wie Rebellen vorzugehen.

Obwohl Syriens Luftwaffe die - seit Oktober widerrechtlich in ihrem Land befindlichen - Türken im aktuellen Fall offenbar irrtümlich attackierte, waren Ankaras Reaktionen bestens vorbereitet. Außenminister Mevlut Cavusoglu meldete sich noch am Donnerstagabend bei Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, berief sich auf Artikel 4 des Nordatlantikvertrages und verlangte die Hilfe der Alliierten.

Stoltenberg rief pflichtgemäß die 29 Botschafter der Mitgliedsstaaten zusammen. Nach einer Stunde Beratung konnte er der Türkei das Beileid der Verbündeten ausrichten und das syrische Regime von Baschar al-Assad sowie dessen Schutzmacht Russland wegen der fortgesetzten Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung im Bereich Idlib verurteilen.

Militärisch wolle die Nato prüfen, was sie »noch tun könne«, sagte der Generalsekretär. Da hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schon eine Idee, die von Hardlinern in den USA auch aufgegriffen wurde. Insgesamt jedoch hatten die Nato-Staaten nicht die geringste Lust, denen zu folgen und über dem Kampfgebiet von Idlib eine Flugverbotszone zu errichten. Denn damit würde die Gefahr einer direkten Konfrontation mit Russland abermals enorm wachsen.

So erklärte Stoltenberg lediglich, man wolle die Luftverteidigung verstärken. Er meinte damit vermutlich mehr Awacs-Flüge, die vom türkischen Konya starten und Teil der Nato Airborne Early Warning & Control Force sind. Dieses Frühwarnsystem hat seine Basis in Geilenkirchen und wird derzeit von dem deutschen Generalmajor Jörg Lebert geführt.

Obwohl die Türkei die zweitstärkste Streitmacht der Nato ist, nutzt Ankara die Awacs-Maschinen gerne. Denn die Türkei unterstützt Anti-Assad-Rebellen nicht nur mit gepanzerten Verbänden und Artilleriesystemen, deren Gerät zum Gutteil aus deutschen Rüstungsfabriken gerollt ist. Die Türkei bekämpft die gegen die Rebellen vorrückenden syrischen Truppen ebenso aus der Luft. Auch wenn man dabei vor allem mit Drohnen operiert, ist es schon von hohem Nutzen, wenn deren Piloten mit Hilfe des weitreichenden Awacs-Radars ein exaktes Luftlagebild vom Operationsgebiet haben.

Seit den jüngsten Zusammenstößen zwischen türkischen und syrischen Truppen lässt Ankara ein Video kursieren, das die Kampfkraft seiner rund 25 Kampfdrohnen belegen soll. 6:26 Minuten lang kann man ungestraftes Morden aus der Luft beobachten. Auch wenn es sich dabei vermutlich nicht nur um aktuelle Bilder handelt - es wurden Attacken darunter gemixt, die die türkische Vernichtungskraft in Libyen beweisen -, so zeigt sich doch, dass Ankaras Militärs die größte Schwachstelle der syrischen Armee ausnutzen: Den Assad-Truppen fehlt eine Luftabwehr. Und so kann Präsident Erdogan seit Freitag jede Menge - freilich nicht überprüfbare - militärische Erfolge verkünden. Seine Armee habe Anlagen zum Bau von Chemiewaffen und Nachschubdepots ebenso zerstört wie Flugplatzeinrichtungen. Mehr als 300 Fahrzeuge, darunter 90 Panzer und Artilleriesysteme, seien getroffen worden. Ankaras Verteidigungsminister »legte« noch 2000 eliminierte Feinde »drauf«. Auch syrische Jets wurden attackiert. Davon, dass die Türkei mit einer vergleichbaren Aktivität syrische Flüchtlinge, die sich vor der gemeinsamen Grenze stauen, mit Nahrung, Zelten und Medizin versorgt, ist keine Rede. Was von der deutschen Regierung, die sich kritiklos an Ankaras Seite gestellt hat, nicht kritisiert wird.

Allerdings scheinen weder Moskau noch Ankara derzeit ein Interesse an einer grundsätzlichen Eskalation zu haben. Noch am Freitag hatten Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Sie kamen überein, dass die Lage stabilisiert werden muss und die zwischen beiden Seiten getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden. Am Donnerstag oder Freitag wollen sich die Präsidenten treffen, um die Lage abzukühlen.

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