Das zerrissene Spiel

Der Fußball kämpft allerorten mit Beleidigungen durch Fans - nicht nur gegen Dietmar Hopp

  • Andreas Morbach, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Der eine soll »Hurensohn« sein, weil er einem Verein viel Geld schenkt. Der andere soll vom Hof gejagt werden, weil er einen Ball nicht festhalten konnte. In Köln war das hässliche Gesicht des Fußballs zu sehen.

Sieben Minuten hatte Jochen Schneider bereits über das wüste Sammelsurium an Schmähgesängen, Häme und beleidigenden Transparenten im Kölner Stadion gesprochen, als er kurz innehielt, um das Gesagte zu ordnen. Dabei landete Schalkes Sportvorstand beim anstehenden Heimspiel gegen Hoffenheim, den Klub um den zuletzt wieder besonders intensiv beschimpften Mäzen Dietmar Hopp. »Ich appelliere an alle Schalker, sich am nächsten Samstag fair zu verhalten. Gegenüber Dietmar Hopp, gegenüber der TSG Hoffenheim, gegenüber Alexander Nübel«, listete Schneider auf und seufzte: »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. In meine Birne geht das alles nicht mehr rein.«

In die Fassungslosigkeit des 49-Jährigen spielten am Abend nach dem 0:3 in Köln auch die Bilder vom Nachmittag in Sinsheim mit hinein. Dort wurde die Partie zwischen Hoffenheim und den Bayern (0:6) zweimal unterbrochen, weil Münchner Fans Dietmar Hopp auf einem Plakat als »Hurensohn« verunglimpft hatten. Während der zweiten Unterbrechung überlegten TSG-Kapitän Benjamin Hübner, sein Bayern-Pendant Manuel Neuer, einige Funktionäre und Schiedsrichter Christian Dingert, wie man dieses zerrissene Fußballspiel noch zu Ende bringen könne.

Die Lösung: Die 22 Spieler kamen für die letzten 13 Minuten zwar wieder auf den Platz, schoben sich bis zum Schluss aber nur demonstrativ den Ball zu. Und ganz am Ende nahmen Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, seine Funktionärskollegen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sowie die Münchner Profis den erkennbar bewegten TSG-Mäzen Hopp im strömenden Kraichgauer Regen in ihre Mitte - und marschierten gemeinsam zur Gefolgschaft der TSG.

All das: einmalige Szenen in der Geschichte der Fußball-Bundesliga, die am frühen Abend dann auch durch das Kölner Stadion geisterten. Dort nahmen die Schalker Gäste gleich einen ganzen Sack voller Probleme mit zum Pokalviertelfinale am Dienstag gegen die Bayern: den anhaltenden Abschwung in der Liga, mit sechs sieglosen Spielen und 1:14 Toren. Die frischen Verletzungen der Schlüsselspieler Suat Serdar und Omar Mascarell. Und vor allem die giftigen Reaktionen auf die wiederholten Patzer von Torwart Alexander Nübel - die inzwischen das Potenzial haben, Fans, Mannschaft und Verein zu spalten.

Schon beim 0:5 in der Vorwoche gegen Leipzig agierte Nübel nervös und fehlerhaft, nun ließ er beim dritten Kölner Treffer einen harmlosen Schuss von Florian Kainz durch Arme und Beine ins Tor gleiten. »Nübel, Nübel« und »Einer geht noch rein«, sangen die Kölner Fans daraufhin voller Spott. Richtig gespenstisch wurde die Szenerie, als selbst der Schalker Anhang direkt nach Abpfiff skandierte: »Nübel raus!«

Auf aufmunternde Worte von seinen Mitspielern wartete der unglückliche Ballfänger, den Tränen nah, zunächst vergeblich. Stattdessen ließ er sich von Referee Manuel Gräfe tröstend den Hinterkopf tätscheln und gratulierte den Kölner Spielern kraftlos zum Sieg. Erst die Kollegen Amine Harit und Michael Gregoritsch sowie Kölns Sportchef Horst Heldt, von 2010 bis 2016 auf Schalke tätig, hielten Nübel davon ab, allein in die Kabine zu flüchten.

»Die Situation macht etwas mit ihm, das hat man gespürt«, kommentierte Schalkes Sportchef Schneider später. Wegen der allgemeinen Häme gegen Nübel habe er sich auf der Tribüne mit einem Zuschauer angelegt, berichtete er - den Hinweis auf den Suizid des früheren Nationaltorhüters Robert Enke 2009 inklusive. »Ich habe gesagt: Vor zehn Jahren war das Thema Enke so groß. Und wir überziehen einen 23-Jährigen, der einen Fehler macht, mit dieser Art von Häme«, erklärte Schneider, sichtlich angefasst.

Er könne das nicht nachvollziehen - »genauso wenig wie das Thema hier heute im Stadion«. Damit meinte Schneider das Transparent, mit dem die Kölner Fans den Anpfiff zur zweiten Halbzeit um fünf Minuten verzögert hatten. »Wegen einem Hurensohn ein Versprechen gebrochen - gegen Kollektivstrafen«, stand darauf - offenkundig gemünzt auf Dietmar Hopp und das vor zehn Tagen verkündete Urteil des DFB-Sportgerichts, Dortmunder Fans wegen wiederholter Beleidigungen gegen Hopp für die nächsten zwei Jahre von den Auswärtsspielen in Hoffenheim auszuschließen.

Zusammen mit Horst Heldt redete Markus Gisdol gleich nach der Pause vor der Südtribüne auf die Fans ein, nach der Partie sagte Kölns Cheftrainer Gisdol: »Ich kenne Dietmar Hopp aus meiner Zeit in Hoffenheim. Er ist ein sehr feinfühliger Mensch, der nur einen kleinen Teil seines Geldes in den Fußball investiert - und einen sehr großen Teil in soziale Projekte wie Schulen, Kindergärten der Krebsforschung. Vielleicht profitieren davon einmal Menschen, die jetzt nicht damit rechnen.«

Auch Jochen Schneider zeigte keinerlei Verständnis für die Aktion der Kölner Anhänger, sondern stellte vielmehr den Dreistufenplan des DFB in Frage. »Vielleicht brauchen wir einen Einstufenplan: Ein Transparent - Spielabbruch«, überlegte der Schalker Sportvorstand. »Das wäre womöglich die richtige Maßnahme, damit es auch der Letzte kapiert.«

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