Eine Hiobsbotschaft mehr

In vielen Pflegeheimen drohen unzumutbare finanzielle Belastungen für die Bewohner

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Bewohnerbeirat des Berliner St. Elisabeth-Stifts, einer Pflegeeinrichtung der evangelischen Stephanus gGmbH, herrscht Aufregung. Das Gremium aus Angehörigen, Bewohnern und Ehrenamtlern soll Kostenerhöhungen gegenzeichnen; zum einen für die Ausbildung und zum zweiten für Investitionen. Erst einen Monat zuvor hatte es eine ähnliche Hiobsbotschaft gegeben: Mehrkosten für Bewohnerinnen und Bewohner, weil Unterkunft, Verpflegung und Ehrenamt teurer werde. Zusammen mit den erneuten Steigerungen wären demnächst für einen ein vollstationären Pflegeplatz ungefähr 300 Euro mehr zu zahlen.

Bereits jetzt bringt der Eigenanteil für die vollstationäre Pflege die meisten Bewohnerinnen an ihre finanziellen Grenzen. So kostete ein Platz im Zweibettzimmer für einen demenzkranken Menschen mit Pflegegrad 4 im November 2019 rund 4200 Euro, 1775 davon berappt die Pflegekasse als ihren fest stehenden Anteil, der »Rest« kommt auf die private Rechnung des Pflegebedürftigen. Im Berliner St. Elisabeth-Stift zahlen von 84 Bewohnern 36 ihren Aufenthalt aus eigenen Mitteln, 48 bekommen Unterstützung vom Sozialhilfeträger.

Das könnte sich künftig noch mehr verschieben, befürchtet Sylvia Krell-Rätzel vom Sozialdienst. Sie hält die Kostensteigerungen von etwa 900 Euro im Durchschnitt der letzten Jahre für unverhältnismäßig. Ginge es nach ihr, würden die Bewohnerinnen Festbeträge zahlen und die Kassen für die Steigerungen zuständig sein. Die Ausbildung des Pflegenachwuchses sollte nach ihrer Ansicht nicht den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden.

Die Kostenlast werde sich nicht ändern, sagt auch Ralf Knacke, Einrichtungsleiter im St. Elisabeth-Stift, einem alten Gebäude, in dem es ständig etwas zu bauen oder zu erneuern gibt. Ändern müsse sich die Pflegeversicherung. Doch diesen Ansatz scheine die Politik nicht zu verfolgen. Knacke hofft vor allem, dass er die Betreuungsqualität in seinem Hause sichern und wenn möglich verbessern kann. Mit 47 Prozent Fachkräften steht man hier in der Eberswalder Straße im Vergleich mit anderen Einrichtungen ganz gut da, obwohl nicht die geforderten 50 Prozent erreicht werden. Doch das ist eindeutig im Mangel an geeigneten Bewerbern begründet. Glaubt man der vor einigen Tagen veröffentlichten Studie der Universität Bremen, fehlen bundesweit etwa 440 000 Kräfte für die bedarfsgerechte stationäre Betreuung. Woher die kommen sollen, machen die Werbereisen des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) in osteuropäische Regionen klar. Auch Ralf Knacke und sein Team beschäftigen inzwischen Mitarbeiter aus vielen Ländern: Polen, Ukraine, Brasilien und Thailand. Ehrenamtler helfen ihnen dabei, die deutsche Sprache zu verbessern und fachliche Kenntnisse zu vertiefen.

Nach Recherchen des Experten Christoph Lixenfeld gibt es in Deutschland etwa 14 500 Pflegeheime. Etwas mehr als die Hälfte werden wie das Elisabeth-Stift in freigemeinnütziger Trägerschaft von Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt betrieben, etwas weniger von privaten Anbietern, nur knapp fünf Prozent von Kommunen und Landkreisen. Lixenfeld bemängelt vor allem die Renditeorientierung in der privaten Altenpflege - salonfähig gemacht von einer Pflegeversicherung, die einer ganzen Industrie rund um Heime und ambulante Dienste zu guten Geschäften verhilft. »Schafft die Pflegeversicherung ab!«, ist sein Fazit. Ein Neustart müsse her, am besten steuerfinanziert und von den Bedürfnissen der Menschen geleitet. Beispiele gebe es in Skandinavien.

Der Bewohnerbeirat im St. Elisabeth-Stift lehnte die erneute Erhöhung des Eigenanteils der Bewohner ab, obwohl er sie damit nicht verhindern kann. Die Arbeitsgemeinschaft aller Mitarbeitervertretungen im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V., zu dem das Stift gehört, startete eine Unterschriftenaktion. »Der Eigenanteil für die pflegebedürftigen Menschen muss durch einen gesetzlich festgelegten Grundbetrag gedeckelt werden!«, heißt es darin. Die steigenden Mehrkosten solle die Pflegeversicherung tragen, mit Steuerzuschüssen. Nur so könne die Aufwertung der Altenpflegearbeit bei gleichzeitiger Begrenzung des Eigenanteils der zu pflegenden Menschen solidarisch gelingen. Die Unterschriften werden an Spahn gehen, der in diesem Sommer ein Reformkonzept für die Pflege vorlegen will.

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