Women only

Freiraum bedeutet für viele Frauen, ganz ohne Männer zu wohnen

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Herzen von Berlin-Mitte, wo die Kiezkultur schon vor vielen Jahren der Gentrifizierung zum Opfer gefallen ist, gibt es noch eine kleine Oase alternativen Lebens. Versteckt zwischen Kunstgalerien, Bioläden und Designbüros führt in der Brunnenstraße 6/7 eine unscheinbare Hoffahrt in eine andere Welt: Prägten eben noch grölende Tourist*innen und hupende SUVs am Rosenthaler Platz das Bild, empfängt einen plötzlich eine ohrenbetäubende Stille, die durch vereinzeltes Vogelgezwitscher noch unterstrichen wird. Bunte Häuser mit Graffiti, ein kleiner Laden mit anarchistischer Literatur und eine Kneipe mit dem Namen »Subversiv« lassen erahnen, was einen hier erwartet: Es ist eines der letzten selbstverwalteten Hausprojekte in dem Ostberliner Stadtteil, der einst eine Hochburg der Besetzer*innenszene war.

Seit 30 Jahren wohnen, leben und feiern hier gemeinsam rund 90 Menschen, verteilt auf elf Wohngemeinschaften. Das Besondere: Mehr als die Hälfte sind reine Frauen- oder FLINT-WGs (Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans). »Wir waren schon immer mehr Frauen als Männer, das ist bis heute so«, erzählt Frieda Bach, die zwei Jahre nach der Besetzung im Jahr 1990 hier eingezogen ist, als das Projekt schon legalisiert war. Auch die 52-Jährige, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, wohnt in einer reinen Frauen-WG - von ihrem und den Söhnen ihrer acht Mitbewohnerinnen mal abgesehen. In einigen Wohngemeinschaften, wie der von Bach, hat sich das im Laufe der Jahre so entwickelt, andere waren von Anfang an männerfreie Zone.

So auch das Frauen-Lesben-Haus, das mittlerweile FLT*-Haus heißt. »Das Frauen-Lesben-Haus war für Männer lange Zeit nicht zugänglich«, sagt Bach. Nicht einmal Handwerker durften rein. Fand sich keine Klempnerin, mussten die Frauen selber ran. »Als ich damals hier eingezogen bin, war ich total beeindruckt von diesen starken Frauen«, erinnert sich die zierliche Frau mit den kurzen grauen Haaren. Eine Situation hat sich ihr besonders eingebrannt: Als die damals Anfang 20-Jährige unweit der Brunnenstraße von einer Gruppe Männer belästigt wurde und ihren Mitbewohnerinnen davon berichtete, kam kurze Zeit später eine Gruppe aus dem Frauenhaus auf sie zu, um sie zu fragen, was passiert sei. Sie vermuteten, dass die Männer regelmäßig in der Nähe trainierten. »Eine Woche später zur selben Zeit haben sich zehn Frauen am Invalidenpark verteilt und den Männern mit Schlagringen und Baseballschlägern aufgelauert. Die kamen zwar nicht, aber das war ein total empowernder Moment. Dass völlig klar war, das passiert nicht noch mal, denen hauen wir auf die Fresse.«

Mittlerweile wohnt keine der Frauen aus dem Frauenhaus mehr in der Brunnenstraße. Das lag auch an internen Streitereien. »Die Frauen-Lesben-Crew hat viel bestimmt, etwa was mackrig ist und was nicht. Ein falsches Wort und du warst raus«, sagt Bach. Auch die Öffnung für Transpersonen war ein großer Streitpunkt. Johanna Blum wohnt seit sechs Jahren im FLT*-Haus und gehört damit mittlerweile zum alten Eisen. »FLT* war lange ein leeres Label und keine gelebte Realität«, sagt die 31-Jährige, die ebenfalls lieber anonym bleiben will. Als es dann soweit war, seien nicht alle Frauen damit einverstanden gewesen, dass Transpersonen dort einziehen. »Es gab auch transfeindliche Argumente, von wegen ›klassische männliche Sozialisierung‹«, erinnert sie sich. »Viele haben sich nicht so viele Gedanken darüber gemacht, dass sie als Cis-Frauen (Bei Cis-Menschen stimmt die Geschlechtsidentität mit dem biologischen Geschlecht überein, Anm. d. Red.) auch in einer bestimmten Machtposition sind.«

Dieser Konflikt zwischen älteren und jüngeren Feministinnen, zwischen anarcha- und queerfeministischen Strömungen, ist mittlerweile vorbei. Reibungspunkte gibt es aber immer noch genug. So ist die Gründung einer reinen Trans-WG nach drei Jahren und vielen Streitereien vorerst gescheitert. »Die Frage ist: Wie kann man separatistische Räume schaffen, ohne in Identitätspolitik zu verfallen«, meint Blum. Eine Kultur der »Oppression Olympics«, bei der sich die Betroffenen mit ihren Unterdrückungserfahrungen zu übertrumpfen versuchen, helfe da nicht weiter. Trotz aller Schwierigkeiten seien Freiräume für FLINT-Personen jedoch ungemein wichtig, weiß sie aus den Erfahrungen in ihrer WG. »Es gibt bei uns eine größere Achtsamkeit für verschiedene Bedürfnisse und viel gegenseitiges Verständnis«, so die Studentin. »Es ist schön, nach Hause zu kommen und den ganzen Struggle aus dem Alltag nicht mehr zu haben.« Transpersonen müssten sich in Berlin jede Menge Sprüche anhören, ob in der U-Bahn oder im Supermarkt. »Bei uns können sich die Leute gegenseitig stärken.« Politik würden die Leute aber eher außerhalb des Hausprojekts machen.

Mittlerweile dürfen auch Männer im FLT*-Haus ein und aus gehen. »Dadurch, dass wir kein reines Frauenhaus mehr sind, sind wir offener geworden«, so Blum. Auch weil sich die Grenzen zwischen den Geschlechtern zunehmend auflösen würden. »Hier läuft keiner durchs Haus und kontrolliert, ob du ein Cis-Mann bist«, sagt sie lachend. »Niemand von uns denkt, dass Cis-Männer scheiße sind. Trotzdem ist es wichtig, dass wir unsere Räume haben, wo wir unser eigenes Süppchen kochen können.« Auch in der Frauen-WG im Hinterhaus sind Männer willkommen, schließlich sollen die Väter ihre Kinder auch besuchen können. Ob die Söhne der Frauen-WG die Feministen von morgen werden? »Sie bekommen hier andere Frauenrollen vorgespielt, keine Unterdrückung, sondern Unabhängigkeit und trotzdem Gemeinschaftlichkeit«, sagt Frieda Bach. »Sie werden niemals sagen, dass Frauen irgendwas nicht können«, ist sie überzeugt.

Solange die Welt ist, wie sie ist, brauche es solche Räume wie in der Brunnenstraße, in denen sich starke Frauen gegenseitig unterstützen, meint Bach. Denn der feministische Kampf sei noch lange nicht am Ziel. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass es dann in dem Projekt immer noch Frauen gibt, die sofort alles stehen und liegen lassen, sich den nächstbesten Gegenstand packen, um einer Frau beizustehen, die von ihrem Mann geschlagen oder belästigt wird.

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