Ein letztes Fest mit den Fans
RB Leipzig zieht ins Viertelfinale der Champions League ein. Ab jetzt wird es ruhiger
Sofort spielte die Stadionregie die Untermalung ein: »Fight for your Right« von den Beastie Boys schepperte über die Lautsprecher. Wer unter den 42 165 Zuschauern nicht zu den traurigen Spurs-Anhängern gehörte, für den war für einen Moment die Welt noch in Ordnung: Die schönste Nebensache der Welt hatte die Menschen mal wieder gut unterhalten. In Leipzig war es gelungen, sich zumindest für einen Abend vom Krisenmodus rund um den Coronavirus abzukoppeln.
Allerdings war es eine Illusion, in diesen Tagen vorbehaltlos einen historischen Erfolg des Klubs bejubeln zu können. Was auch der Vorstandschef von RB Leipzig, Oliver Mintzlaff, spürte, als er anschließend fast ausnahmslos Fragen zur Epidemie und nicht zum Sport beantworten musste. »Es ist natürlich ein Thema, wenn ganze Ligen den Spielbetrieb aussetzen«, sagte Mintzlaff, um geduldig zu erläutern, warum sich Behörden und Verein für die Austragung mit Publikum entschieden hatten.
»Mit Stand Spielbeginn hatten wir vier Infizierte in Leipzig. Wenn wir dieses Spiel abgesagt hätten, wäre das mehr Panik als eine realistische Einschätzung der Situation gewesen.« Das Gesundheitsamt habe völlig richtig gehandelt. »Dagegen haben wir uns nicht gewehrt. Wir entziehen uns nicht der Verantwortung.« Fast trotzig merkte der 44-Jährige an: »Ich freue mich übers Viertelfinale und lege mich heute ins Bett und denke nicht über Corona nach, sondern denke: Yes, wir haben es geschafft!.«
Am Tag danach dämmerte auch Mintzlaff, dass es im Bundesliga-Alltag keine Ausnahmen mehr geben kann: Das Heimspiel gegen den SC Freiburg (Samstag 15.30 Uhr) wird vor leeren Rängen stattfinden. »Für Geisterspiele kann grundsätzlich niemand sein«, betonte der RB-Chef, »aber wenn die Gesundheit das erfordert, müssen wir das machen.« Er begründete am Mittwoch den Beschluss im Zeichen eines fairen Wettbewerbs: »Diejenigen Vereine, die keine Fans im Stadion haben, haben nicht den Vorteil eines Heimspiels. Die tolle Stimmung hat gegen Tottenham sicher dazu beigetragen, dass wir 90 Minuten Vollgas gegeben haben.«
Vermutlich wäre an Standorten wie Köln und Frankfurt, Stuttgart oder Hamburg die doppelte und dreifache Lautstärke zu hören gewesen, wenn ein namhafter Gegner aus der Premier League derart brachial auf die Bretter geschickt wird. Immerhin gab sich die Leipziger Kurve alle Mühe: Statt anfangs eintöniger »Rasenball«-Chöre setzten sich irgendwann die »Europapokal, Europapokal«-Gesänge durch. Den meisten Applaus gab es, als Marcel Sabitzer vorzeitig das Feld verlassen durfte. Der 25-Jährige krönte seine starke Leistung mit einem Doppelpack (10. und 22.), ehe der eingewechselte Emil Forsberg mit dem ersten Ballkontakt den Schlusspunkt setzte (87.). »Es war ein Abend für die Geschichtsbücher. Den werde ich so schnell nicht mehr vergessen«, erklärte der Leipziger Kapitän Sabitzer. Seit 2014 trägt der Grazer das Bullenlogo auf der Brust. Für Trainer Julian Nagelsmann ist das österreichische Mittelfelddoppel mit Sabitzer und Konrad Laimer die wahre Herzkammer seines energetischen Ensembles, das einen erstaunlichen Reifegrad bewies, obwohl die Mannschaft in der Bundesliga die Zügel merklich hat schleifen lassen. Der Trainer aber wollte gar nicht meckern: »Es ist ein ganz bedeutender Moment für den Klub, weil es das erste Mal ist.« Wie weit es in der Königsklasse noch gehen kann, hänge davon ab, »wer unser Gegner ist«.
Auch Nagelsmann selbst, witzelte der 32-Jährige, komme nun in den Trainerstatistiken besser weg. »Mit Hoffenheim war die Bilanz ja eher kläglich, jetzt habe ich meinen Punkteschnitt verbessert.« Allein die Frage nach möglichen Geisterspielen schmeckte dem Fußballlehrer kurz vor Mitternacht nicht.
»Da gibt es Leute in diesem Land, die das deutlich besser wissen als ich. Ich versuche zu entscheiden, was für meine Mannschaft fußballerisch der beste Weg ist«, beschied Nagelsmann. »Ich bin sicher nicht der Einzige, der lieber mit Zuschauern spielt. Aber wenn es nicht geht, werden wir versuchen, für die Leute am Fernseher guten Fußball zu spielen.« Nun bleibt auch den Sachsen nichts anderes mehr übrig.
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