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Wahlzettel zu Denkzetteln
Die französische Opposition macht die Kommunalwahlen zur Abrechnung mit Präsident Macron
Die Kommunalwahlen, die für den 15. und den 22. März anberaumt sind, stehen diesmal unter einem besonderen Stern. Das liegt nicht nur an der Coronavirus-Epidemie, die inzwischen zum Verbot aller Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern geführt hat, also auch von Wahlveranstaltungen. Schon gibt es Stimmen, die eine Verschiebung der Wahlen fordern. Doch die Regierung will sie auf jeden Fall zum geplanten Termin durchführen, selbst wenn man die Wähler auf einen Meter Abstand untereinander halten muss und die Kugelschreiber laufend zu desinfizieren sind. Allerdings ist damit zu rechnen, dass die Beteiligung vor allem älterer und besonders virusgefährdeter Wähler geringer ausfällt.
Einen besonderen Charakter haben die Kommunalwahlen in diesem Jahr auch, weil sie der linken wie der rechten Opposition nach ihrer vernichtenden Niederlage bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 dazu dienen, zu testen, inwieweit sie ihre Rolle in der politischen Arena zurückgewinnen konnten. Vor allem jedoch will die Opposition Präsident Emmanuel Macron nach der Hälfte seiner Amtszeit mit seiner Bilanz konfrontieren. Der geht schon seit Wochen in die Vorwärtsverteidigung und betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die Kommunalwahl nur örtliche Bedeutung habe und nichts über den Zustand des Landes oder die Kräfteverhältnisse auf nationaler Ebene aussage. Damit will Macron dem absehbaren Wahldesaster seiner Bewegung La République en marche (LREM) vorab schon möglichst viel von seiner Dramatik nehmen.
Macrons Bewegung ist in kleineren Städten und auf dem Lande kaum präsent, geschweige denn verankert. Da viele ihrer Politiker »Überläufer« aus der Sozialistischen oder der Zentrumspartei sowie von den rechten Republikanern sind, fehlt es ihnen in den Augen vieler Wähler an Glaubwürdigkeit. Vor allem jedoch werden die LREM-Kandidaten mit dem Wahlergebnis die Rechnung für die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung bekommen. Die Empörung über den politischen Kurs der Regierung und Macrons nicht gehaltene Wahlversprechen hat sich schon ab November 2018 durch die Protestbewegung der Gelben Westen und ab Dezember 2019 durch die Streiks und Demonstrationen gegen die Rentenreform Luft gemacht.
In diesem Zusammenhang wird sich Premier Édouard Philippe mittlerweile sicher schon fragen, ob seine Entscheidung, wieder für sein zuvor ausgeübtes Amt als Bürgermeister von Le Havre zu kandidieren, sinnvoll war. Eine Wahlniederlage würde seine Eignung als Regierungschef zur Disposition stellen.
Bei den größeren Oppositionsparteien ist zu beobachten, dass die Bürgermeister aus ihren Reihen, die lokal gut verankert sind, auf ihren Wahlplakaten tunlichst vermeiden, die eigenen Parteilogos zu verwenden. Alternativ werden die Symbole klein gehalten, damit die Kandidaten aufgrund ihrer persönlichen Leistungen wiedergewählt werden und nicht durch das Stigma ihrer Formation an Stimmen einbüßen. Das trifft für viele sozialistische und republikanische Kommunalpolitiker zu, aber auch für die des rechtsextremen Rassemblement National. Die Partei unter der Vorsitzenden Marine Le Pen regiert seit Jahren zwei Dutzend kleine und mittelgroße Städte in Nord- und Südostfrankreich und dürfte diese Gebiete halten, ohne neue hinzuzugewinnen. Angesichts der sich in der Bevölkerung immer stärker ausbreitenden Klima- und Umweltsorgen kann sich die Partei der Grünen Hoffnung auf einen Zugewinn an politischem Einfluss machen. Dagegen muss die nur noch am Rande der politischen Arena wahrnehmbare Kommunistische Partei versuchen, die heute noch 38 von einst 147 Kommunen des historischen »Roten Gürtels« um Paris zu verteidigen. So stellt sie etwa in den großen Arbeiterstädten Saint-Denis, Montreuil oder Ivry-sur-Seine die Bürgermeister.
Die Bewegung La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon war bisher in den Kommunen kaum präsent. In Ermangelung eigener Spitzenkandidaten beteiligt sie sich lieber an den Listen anderer linker Oppositionsparteien von den Grünen über die Kommunisten bis zu den radikalen Linksparteien NPA und LO.
Anlässlich eines Kommunalpolitiker-Kongresses in Paris vor einem Jahr erklärten acht von zehn Bürgermeistern, sie wollten nicht wieder kandidieren, weil sie durch immer mehr Gesetze und Vorschriften aus Paris erdrückt würden und immer weniger Mittel für immer mehr Aufgaben zur Verfügung hätten - nicht zuletzt auf sozialem Gebiet. Doch inzwischen hat sich wohl wieder der Reiz des beliebtesten Politikerjobs durchgesetzt, und so stellen sich heute doch 67 Prozent der Bürgermeister zur Wiederwahl.
Landesweit kandidieren auf Listen mit ebenso vielen Männern wie Frauen insgesamt 900 000 Menschen für einen Sitz in den Stadt- oder Gemeinderäten der 36 000 Kommunen des Landes. Der Anteil der Frauen unter den schließlich gewählten Ratsmitgliedern hat sich von 17 Prozent im Jahre 1989 auf 40 Prozent bei den jüngsten Kommunalwahlen 2014 erhöht. 84 Prozent der gewählten Bürgermeister waren jedoch Männer - und viel ausgewogener wird das Ergebnis auch diesmal nicht ausfallen.
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