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Aufstieg der Rechten: Fragmentierung statt Globalisierung
Rechte Parteien werden in vielen Ländern stärker, die politische Mitte driftet nach rechts. Was das mit dem laufenden Weltwirtschaftskrieg zu tun hat
Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA überlegen gewonnen und weltweit macht man sich auf die Suche nach den Gründen. Dabei vertieft man sich in die Sozialstruktur der Vereinigten Staaten, findet Arme und Abgehängte, Inflationsgeschädigte und Arbeitslose, die auf Trump setzen. Aber nicht nur in den USA, rund um den Globus ernten rechte Politiker*innen Zustimmung, von Marine Le Pen über Geert Wilders, von Giorgia Meloni bis Alice Weidel. Gleichzeitig rücken die Parteien der sogenannten Mitte nach rechts. »Etwas Größeres ist ins Rutschen gekommen«, schreibt der Journalist Sebastian Friedrich. Einigkeit herrscht darin, dass diese Entwicklung etwas mit der Ökonomie zu tun hat. Nur was? Schließlich ist der Rechtstrend gerade in jenen Ländern intakt, die als reich gelten. Und von einer großen Krise inklusive Arbeitslosigkeit und abstürzenden Börsenkursen ist nichts zu sehen.
Die ökonomischen Befunde sind eindeutig: Wer rechts wählt, ist eher arm oder armutsgefährdet oder fürchtet den sozialen Abstieg. Das, so lautet die gängige Erklärung, nutzen die Rechten aus und bieten den verunsicherten Menschen Sündenböcke, von den Migranten bis zur EU. Angesichts des Erfolgs dieser Strategie sähen sich Liberale und Konservative gezwungen, ihrerseits nach rechts zu rücken – quasi an einen Ort, an den die politische Mitte eigentlich nicht gehöre. Diese Erklärung des globalen Rechtstrends ist mangelhaft, denn sie betrachtet die Regression wie eine Bedrohung von außen. Es ist naheliegender, dass der Trend von der Mitte selbst ausgeht. Viele soziale oder kulturelle Aspekte mögen dabei eine Rolle spielen. Aber wenn es um den ökonomischen Motor dieser Bewegung geht, ist dieser weniger die Armut der Menschen, sondern die Unzufriedenheit der Regierenden mit der Stellung ihrer Nation im globalen Wettbewerb um Geld und Macht.
Ökonomie und Rechtstrend – die gängige Erklärung
Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass beim Rechtstrend die Ökonomie eine Rolle spielt. So zeigen beispielsweise Studien, dass staatliche Sparprogramme zu einem Erstarken »extremer« oder »populistischer« Parteien führen. In Regionen, in denen die Rechten hinzugewinnen, stellen Untersuchungen zudem eine kritischere Haltung gegenüber Zuwanderung fest.
Allerdings, so die Politologin Charlotte Cavaillé, sei hier eine wichtige Differenzierung vorzunehmen. Zwar zeigten experimentelle Studien zuverlässig, dass Menschen ihre Entscheidungen von der Gruppenzugehörigkeit abhängig machten. Eine entscheidende Bedingung bei der Bewertung des Grades an Zugehörigkeit sei dabei aber das Kriterium der »Verdientheit« (deservingness), also die Frage, inwieweit Migrant*innen es »verdienten, von der sozialen Solidarität zu profitieren«. Zentral sei hier die Figur des »hart arbeitenden Migranten«, der sich als »zuverlässiges Mitglied der ‚Nation‘« erweisen könne. Die Nation, so Cavaillé, werde also nicht nur als kulturelles Konstrukt definiert, sondern auch als Projekt zur gemeinsamen Nutzung und Produktion von Ressourcen, in der jede Person sich ihren Teil verdienen kann, wenn sie ihren Beitrag leistet.
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Zunächst ist es nicht überraschend, dass ökonomisch unzufriedene Menschen rechte Parteien wählen. Schließlich ist der Ausgangspunkt der Argumentation rechter Parteien in der Regel eine schwere Krise der Heimat, ein existenzbedrohender nationaler Notstand, der einen radikalen Wandel nötig mache. Von daher scheint es unmittelbar einleuchtend, dass reale oder befürchtete Wirtschaftskrisen rechte Parteien stärken und den Regierenden die Schuld an der Krise zugewiesen wird.
Zu Unrecht gelobt: die gute »Mitte«
Eigenartig ist jedoch die Art und Weise, wie die Sozialwissenschaft die Kausalität zwischen ökonomischer Misere und rechten Wahlerfolgen konstruiert. Eine zentrale Rolle spielt hier der Begriff des Vertrauens: In der Krise »nimmt das Vertrauen der Menschen in die Regierung« ab, es komme zu einem »Gefühl der Trennung von den etablierten politischen Parteien«, so der Ökonom Ricardo Duque Gabriel. Laut dem Ökonomen Leonardo Baccini »führt Sparpolitik bei Wählern zu Enttäuschung«, insbesondere bei ärmeren Haushalten wachse das Gefühl, die Regierung »kümmere sich nicht« um sie.
Erkennbar in dieser Analyse ist eine Parteinahme für die etablierten Parteien der politischen Mitte. Denn erstens wird der Rechtstrend aus ihrem Versagen erklärt – sie hätten es unterlassen, für Vertrauen zu sorgen, und stattdessen Misstrauen gesät. Zweitens wird dieses Misstrauen nicht bloß als zu untersuchendes Phänomen dargestellt, sondern als Problem, das zur gesellschaftlichen »Polarisierung« führe, die zu vermeiden sei. Die meisten Studien unterscheiden nicht zwischen linken und rechten Parteien, sondern beides wird verbucht unter »extrem« (Gabriel) oder »populistisch« (Baccini). Dies lässt darauf schließen, dass für die Autor*innen weniger die politischen Programme zählen, sondern die Abweichung von der Mitte als Missstand gewertet wird, dessen Ursachen gesucht werden.
Dahinter steht die verbreitete Vorstellung einer politischen Mitte, in der die Gesellschaft möglichst einig und geschlossen stehen soll. Sie gilt als das Gute, das gefährdet ist. In der Mitte ist man »integriert« und nicht »abgehängt« oder »abgehoben«. Die Mitte, schrieb der Soziologe Ulf Kadritzke, bewohnt das Innen, nicht das Außen, ihre Mitglieder sind Zugehörige, nicht Fremde. So wie es eine ökonomische Mitte zwischen reich und arm gebe, so finde sich die politische Mitte zwischen links und rechts. Diese Mitte gilt als das Typische und als das politisch Erwünschte, als Normalität und Norm zugleich, als natürliche politische Heimat der Menschen, als die Stabilität der Verhältnisse selbst. Unterstellt ist damit, die Mitte sei ganz anders als die Rechte, fast schon ihr Gegenteil und zwischen beiden bestehe eine Unvereinbarkeit, symbolisiert durch das Bild der »Brandmauer«. Eine Brandmauer ist aber nur nötig, wenn man den gleichen Block bewohnt.
Das Volk und seine Leistung
Diese Unvereinbarkeit von Mitte und Rechts ist eine Fiktion. Denn beide teilen in ökonomischen Fragen das gleiche Gesellschaftsbild. Dieses Bild kennt keine Klassengegensätze im marxschen Sinne. Stattdessen wird der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgelöst in ein funktionales Miteinander. Der Begriff des Kapitalismus wird dabei ersetzt durch den der »Wirtschaft«. An ihr sind alle ökonomischen Subjekte scheinbar gleichermaßen beteiligt – Lohnarbeitende, Kapitalistinnen, Grundeigentümer*innen gelten wie auch Beamte, Börsianerinnen und andere als »Einkommensbezieher« beziehungsweise »Erwerbstätige«. Gemeinsam produzieren sie die Wirtschaftsleistung und teilen ein Interesse an deren Erhöhung. Es ist eine Gesellschaft der Gemeinsamkeit, nicht der Gegensätze. Benannt wird die Gemeinschaft in Begriffen wie Bruttoinlandsprodukt, Volkseinkommen oder Nationalökonomie: Inland, Volk, Nation.
Eine Brandmauer ist nur nötig, wenn man den gleichen Block bewohnt.
Zu diesem gedachten Gemeinschaftswerk leisten alle ihren Beitrag: Die Unternehmer stellen die Produktionsmittel (Kapital) und die Arbeitnehmer die Arbeit, die als etwas Gutes gilt. Beinhaltete bei Marx der Begriff der Arbeiterklasse noch eine Kritik an der Unterwerfung der Arbeit unter die Vermehrung privaten Reichtums, so soll im Begriff der »(hart) arbeitenden Klasse« ein Lob ausgedrückt sein – Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft – und ein berechtigter Anspruch – Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum muss man sich durch Arbeit verdienen. »Leistungsträger« werden gefeiert. Wer dagegen nicht arbeitet, gerät unter Verdacht. Es sei denn, die Person verfügt über ausreichend Geld, sodass sie nicht arbeiten muss, sondern andere für sich arbeiten lassen kann.
Dieser Verdacht erhärtet sich in der Krise: Gelten vorgestellte Gemeinschaftsgüter wie »unser Wohlstand« oder »unsere Industrie« als bedroht – wie derzeit – so beginnt die Suche nach jenen, die Ressourcen erhalten, obwohl sie nicht oder nicht genug zur Produktion des Reichtums beigetragen und sich folglich als wenig nützlich erwiesen haben. Dabei geraten zum einen Bezieher von sozialen Leistungen wie Bürgergeld ins Visier; zum anderen jene, die nicht von hier sind, die Migrant*innen. Sie werden verschärft nach Nützlichkeit sortiert oder zur Nützlichkeit angehalten.
In der Forderung nach Nützlichkeit, die sowohl die politische Mitte wie die Rechte stellt, ist der Übergang zum Leistungsrassismus angelegt beziehungsweise der Übergang zur »rohen Bürgerlichkeit«, die der Soziologe Wilhelm Heitmeyer »am meisten fürchte«. »Kapitalistische Kriterien von Effizienz und Verwertbarkeit gewinnen an Bedeutung. Menschen werden zunehmend nach diesen Kriterien beurteilt. Ein Jargon der Verachtung setzt sich durch.« Ihr zugrunde liegt ein ökonomisches Gesellschaftsbild, das in der Krise von der Politik flexibel gehandhabt werden kann. »Welchen Gruppen dann jeweils Ineffizienz und finanzielle Belastung zugeschrieben werden, ist eine Frage der Situation und der Definition«, schreiben die Soziolog*innen Eva Groß und Andreas Hövermann.
Mitte und Rechts: Gemeinsame Krisendiagnose
Ausgehend von ihrem ökonomischen Gesellschaftsbild als nationale Produktionsgemeinschaft schreiten die Parteien der Mitte wie auch der Rechten zur gemeinsamen Diagnose der aktuellen Lage: Die Heimat steht vor einem Abgrund. »Unsere Wirtschaft liegt in Trümmern, wir sind eine Nation im Abstieg«, klagt Donald Trump. Das Echo kommt aus Europa: Die Deindustrialisierung Deutschlands sei »ein reales Risiko«, warnt der Industrieverband BDI. In Frankreich prophezeit Präsident Emmanuel Macron: »Folgen wir unserer alten Agenda, sind wir in zwei oder drei Jahren aus dem Markt«. Der jüngste Report zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit sieht eine »existenzielle Herausforderung« für Europa: »Erstmals seit dem Kalten Krieg müssen wir um unseren Selbsterhalt fürchten«, so Ex-Zentralbanker Mario Draghi.
Ökonomischer Ausgangspunkt dieser Endzeitdiagnose sind weniger Massenarbeitslosigkeit und Finanzkrisen, sondern Verschiebungen auf dem Weltmarkt. China ist zur industriellen Supermacht aufgestiegen, der Westen verliert an Bedeutung. Dazu kommt eine grundlegende Veränderung der technologisch-industriellen Konkurrenzverhältnisse durch Klimawandel und -schutz, durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Angestammte Positionen auf dem Weltmarkt sind davon bedroht, sichtbar zum Beispiel an der deutschen Autobranche. Was die etablierten Industrienationen hier beklagen, ist weniger ihr Untergang als die Gefährdung ihrer Führungspositionen, die sie als Gefährdung ihrer Macht und Sicherheit deuten. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht eine »Ära der Angst, der Unsicherheit« und eine »Welt der Gegnerschaft« heraufziehen.
Weitgehend einig sind sich Rechte und Mitte nicht nur in der Endzeitdiagnose, sondern auch was die Quelle der Bedrohung angeht: das Ausland, das die »angestammten« oder »Heimatmärkte« angreift und damit die Souveränität der eigenen Nation. »Nicht nur China, auch die USA versuchen mit milliardenschwerer Industriepolitik, Branchen im eigenen Land zu fördern, die lange als deutsche Schlüsselbranchen galten«, hält die Gemeinschaftsdiagnose der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute fest. Das Magazin »Capital« klagt, »Deutschland wird als Standort ökonomisch entmachtet, ausländische Investoren schielen zunehmend auf hier heimische Firmen«. Und laut Trump »nutzen unsere Verbündeten uns stärker aus als unsere Feinde«.
Das sind Variationen des Satzes des AfD-Politikers Björn Höcke, laut dem »der zentrale Gegensatz nicht mehr zwischen oben und unten verläuft, sondern zwischen innen und außen«. Alles gerät unter Verdacht, die Heimat zugunsten des Auslands zu schwächen: Welthandelsregeln, Klimaschutz, Entwicklungshilfe, Migration, EU-Vorgaben und -Beiträge. Vorbei sind die Zeiten der gefeierten »Globalisierung«, in denen es hieß, vom freien Weltmarkt würden irgendwie alle profitieren. Heute gilt das Ausland nicht länger als Hebel des eigenen Wachstums, sondern zunehmend als seine Schranke. Geschäftspartner werden zu »Rivalen« und etablierte Handelsbeziehungen zu »strategischen Abhängigkeiten«, von denen man sich lösen will. Der Internationale Währungsfonds stellt eine »Fragmentierung« des Weltmarktes entlang geopolitischer Fronten fest. Das Problem der nationalen Regierungen ist nicht nur eines des Wirtschaftswachstums, es geht ihnen um alles. Denn »ohne eine solide wirtschaftliche Grundlage können politische und militärische Ambitionen nicht aufrechterhalten werden«, schreibt Markus Jäger in einem Aufsatz für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Die Lösung: Rettung der Nation
Als Lösung des Problems streben Mitte und Rechte allerdings keine Entkopplung vom Rest der Welt an. Denn jede nationale Ökonomie braucht das Ausland – als Absatzmarkt, als Zulieferer, als Investitionsstandort und als Quelle billiger Arbeit. Ziel ist also kein decoupling, sondern die profitable Benutzung der Handelspartner. Dabei werden die nationalen Akteure radikaler: Zum Schutz der Heimat werden Zollmauern errichtet, Exporte und Investitionen verboten. »Europa muss aggressiver werden beim Verfolgen seiner strategischen Interessen«, fordert von der Leyen und Trump formuliert es kürzer: »America first!« Aus der Definition der Lage als existenzielle Bedrohung der Heimat ergibt sich die für den Rechtstrend so typische Radikalität, nach der jeder Kompromiss mit der Gegenseite eine Kapitulation bedeute.
Das Programm zur Rettung der Nation hat eine defensive Seite – Zölle, Exportbeschränkungen – und eine offensive. Zentral ist dabei ein Begriff, der den angestrebten Sieg über das Ausland als Eigenschaft des eigenen Standortes ausdrückt: Wettbewerbsfähigkeit. Ohne erhöhte Wettbewerbsfähigkeit drohe Europa »der langsame Tod«, warnt Draghi, und laut US-Präsident Joe Biden »gibt es keinen Grund, warum der amerikanische Arbeiter nicht den Rest der Welt niederkonkurrieren könnte. Er braucht nur eine Regierung, die ihm die Mittel dazu in die Hand gibt«.
Aus der Nation als klassenloser Gemeinschaft der Produzenten wird so schrittweise die Nation als Kampfgemeinschaft, in der die Bevölkerung dazu aufgefordert wird, sich im Kampf gegen das Ausland mehr anzustrengen. Das Land braucht mehr Arbeitskräfte, hießt es, der Arbeitswille ist gefragt, die Menschen brauchen »Lust auf Leistung«, so FDP-Politiker Christian Lindner. Im Ergebnis soll nicht nur mehr gearbeitet werden, sondern auch produktiver: pro Stunde und Minute mehr Umsatz und Gewinn. Zwar sind hier Steigerungen zu vermelden. Aber sie sind zu gering. »Das Produktivitätswachstum Europas ist eine Katastrophe«, so Guntram Wolff von der Denkfabrik Bruegel in Brüssel, das bremse das gesamte Wirtschaftswachstum – mit weitreichenden Folgen: »Wenn man eine geopolitische Macht sein will, ist Wirtschaftsmacht der Schlüsselfaktor.« Produktivität ist Wettbewerbsfähigkeit ist Verteidigungsfähigkeit.
Daher geraten jene ins Visier, die unter Verdacht stehen, nicht das Ihre zum Erfolg des ökonomischen Gemeinschaftswerkes beizutragen. Es wird mehr Druck auf Bürgergeldbezieher*innen aufgebaut, schließlich »sollen Sozialtransfers nicht den Arbeitswillen bremsen«, mahnt die Zeitung »FAZ«. Gleichzeitig werden die benötigten Migrant*innen strenger nach Nützlichkeit für den Dienst am Volkseinkommen sortiert. In der verschärften globalen Konkurrenz um Geld und Macht führt die Politik so In- wie Ausländer*innen ihrer Bestimmung zu. »Ich glaube, wir sind alle zum Arbeiten geboren«, sagte kürzlich Olaf Scholz. Dies sehe allerdings nicht jeder so, räumte der Kanzler ein. »Deshalb ist die Frage: Wie kriegen wir das geändert?«
Materielle Grundlage des Rechtstrends
Der globale Rechtstrend besteht nicht nur im Erfolg rechter Parteien. Es ist tatsächlich »etwas Größeres ins Rutschen gekommen«. Die verschärfte Konkurrenz um den globalen Reichtum bedroht angestammte Positionen auf dem Weltmarkt und damit die Stellung von Ländern im globalen Machtgefüge. Darin sehen die Regierungen insbesondere der großen Ökonomien keine vorübergehende Wachstumsschwäche, sondern eine existenzielle Gefährdung des Standortes und ihrer Souveränität. Die Bedrohung kommt aus dem Ausland, gegen das die Regierungen ihr altes Programm der Standortsicherung radikalisieren. Daraus resultiert die für den Rechtstrend so kennzeichnende Unversöhnlichkeit, Kompromisslosigkeit und Gewaltförmigkeit der Konfliktbearbeitung: Zölle statt Handelsverträge, Sanktionen statt Belohnungen, Drohung mit Strafen statt Lockung mit Prämien, im internationalen Geschäft wie gegenüber Bürgergeldempfänger*innen.
Unter dem Schlachtruf »Wir zuerst!« machen die Standorte mobil für den Entscheidungskampf – auch nach innen, wo sie die Bevölkerung zur Leistung anspornen, damit »wir wieder stolz auf Deutschland sein können«, so CDU-Politiker Friedrich Merz. Arbeit und Verzicht sind angesagt, schließlich »liegt der Höhepunkt unseres Wohlstandes wahrscheinlich hinter uns«, so Merz.
Diese Weltmarktlage und die Reaktion der Mitte auf diese Lage könnte man den »objektiven« Rechtstrend nennen, seine materielle Grundlage. Der »subjektive« Rechtstrend, also die Einstellung und das Wahlverhalten der Menschen, ergibt sich nicht allein aus privaten wirtschaftlichen Sorgen der Menschen, sondern daraus, dass sie der Lagebestimmung der Regierenden folgen. Sie identifizieren ihre eigenen Nöte mit denen des Standortes, für sie haben ihre hohen Heizkosten und die Kostennachteile der heimischen Industrie die gleiche Quelle. Basis dieser Identifikation ist das – vertraute – Bild einer »Volkswirtschaft« als Gemeinschaftsaufgabe, in der nicht die Eigentumslosen den Reichtum der Eigentümer verwerten, dafür einen Lohn erhalten und gegebenenfalls entlassen werden, sondern in der jeder seinen Dienst leisten muss – und von deren Erfolg alle tatsächlich abhängig sind. Diese Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt und seinem Wachstum ist die materielle Grundlage dafür, dass die Klassengesellschaft als Produktionsgemeinschaft umgedeutet wird, um deren Wettbewerbsfähigkeit sich alle sorgen sollen und die durch Umverteilung von oben nach unten nur gefährdet würde.
Zwangsläufig ist diese Deutung nicht, nur naheliegend. Gegen den Rechtstrend setzt die gesellschaftliche Linke derzeit das Konzept einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik«, also einer Wirtschaftspolitik, die das Leben der Menschen durch öffentliche Daseinsvorsorge absichert und ihnen so den Grund zur Unzufriedenheit nehmen soll. Das ist gut gemeint und wäre auf jeden Fall wünschenswert, läuft aber dem Standortrettungsprogramm von Mitte und Rechten zuwider, das Kampf, Leistung und Verzicht vorsieht. In diesem Programm angelegt ist der Übergang zu purem Zwang und zur Gewalt – bis zum Krieg. Denn nicht nur die Verlierer des Weltmarktes sind nicht immer bereit, »das für sie ungünstige Marktergebnis friedlich zu akzeptieren«, so der Politologe Christoph Scherrer, »auch manche Gewinner sind sich ihres Gewinns nicht gewiss und versuchen, ihn mit nicht marktförmigen Methoden zu sichern«.
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