- Sport
- Fußball und Corona
Befehl von ganz oben
Bundesliga ohne Zuschauer: Der 1. FC Union Berlin steht symbolisch für den unwürdigen Umgang des Profifußballs mit dem Coronavirus
Die Entscheidung, dass der komplette Spieltag der 1. und 2. Fußball-Bundesliga abgesagt wird, kam spät. Ihr waren viele Diskussionen vorausgegangen. Der Profifußball offenbarte dabei erneut nicht seine beste Seite.
Dabei war ein erstes Machtwort bereits am vergangenen Mittwoch gesprochen worden, quasi als Befehl von ganz oben. »Spiele vor leeren Rängen sind nicht das Schlimmste, was diesem Land passieren kann«, sagte Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hat zweifelsfrei recht – und berief sich auf den »Rat der Experten«. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Institutes, hatte kurz zuvor vom »Anfang einer Epidemie« in Deutschland gesprochen. Wenige Stunden später erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Verbreitung des Coronavirus zur Pandemie.
Einen Tag zuvor hatte sich der 1. FC Union Berlin zu seinem Aufeinandertreffen mit dem FC Bayern an diesem Samstag noch ganz anders geäußert. Auch der Klub aus Köpenick berief sich in seiner Pressemitteilung auf Experten. »Die örtlichen Behörden im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick haben den 1. FC Union informiert, dass sie nach umfangreicher Prüfung der aktuellen Risikobewertung in Bezug auf die Ausbreitung des Coronavirus entschieden haben, keine Anordnung über einen Ausschluss von Zuschauern für das Heimspiel am 14.03.2020 zu erlassen.«
Wäre es bei diesen Informationen geblieben, die der Verein »in einer schriftlichen Note« erhalten habe, wäre wohl auch der Widerruf des Bezirksgesundheitsamtes am Mittwochmorgen ein normaler Vorgang in einer Ausnahmesituation geblieben. Doch im vorauseilenden Ungehorsam hatte Klubpräsident Dirk Zingler die Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, ungewöhnlich scharf kritisiert. »Nicht Herr Spahn, sondern die Gesundheitsbehörde in Köpenick entscheidet.« Das Infektionsschutzgesetz hat Zingler dabei sogar auf seiner Seite. Aber sollte man sich wirklich in jeder Situation auf sein Recht berufen?
Zum Heimrecht im Fußball gehört die lautstarke Unterstützung der eigenen Fans. Für den Aufsteiger aus Berlin gilt das umso mehr. 19 Punkte holten Unions Fußballer bislang in der Alten Försterei, acht mehr als in fremden Stadien. Acht Punkte beträgt auch der Vorsprung auf den Relegationsrang. Der harte Kampf um den Klassenerhalt erklärt vielleicht die Aufregung. Das Unangenehme an Zinglers Worten ist aber, dass er eben nicht sportlich argumentierte. »Uns wird die Unternehmensgrundlage entzogen«, sagte Unions Präsident. Er drohte gar mit dem Gesetz, nach dem bei von Behörden angeordneten Präventivmaßnahmen diese auch »Schadenersatz leisten und sämtliche Einnahmeausfälle ersetzen« müssten.
Nun ist ein Minister nicht zwangsläufig ein Fachmann, aber Jens Spahn steht nun mal der höchsten Bundesbehörde in Sachen Gesundheit vor. Während sich Dirk Zingler mit dem CDU-Politiker einen unrühmlichen verbalen Schlagabtausch lieferte, forderten andere Vereine wie Werder Bremen Chancengleichheit im Punktekampf. Entweder alle Spiele werden abgesagt oder aber zumindest ohne Zuschauer ausgetragen. Überall. Egal, ob Gesetze ein regionales Vorgehen vorschreiben. Vernünftig wären Zuschauerausschlüsse auch. Aus »infektiologischer Sicht« seien Stadien mit Tausenden auf engstem Raum Hotspots, erklärt Jonas Schmidt-Chanasit. Das sei genau das, was man jetzt eigentlich vermeiden wolle, so der Leiter der Virusdiagnostik am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut.
Im Fall des Coronavirus kann hierzulande weder Wissenschaftlern noch Politikern Panikmache unterstellt werden. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung, beispielsweise für stark gefährdete Risikogruppen oder das Gesundheitssystem. Der Profifußball trägt seinen Teil bisher nicht bei. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) betonte am Montag noch: »Die laufende Saison 2019/20 muss wie vorgesehen bis zum Sommer 2020 zu Ende gespielt werden.« In anderen Sportarten hatten Verbände da längst entschieden, laufende Spielzeiten sofort zu beenden. Selbst der Deutsche Fußball-Bund entschied früh, zwei Spieltage in der 3. Liga ausfallen zu lassen, und beschäftigt sich schon mit einem Saisonabbruch. Die UEFA setzte alle Europapokalwettbewerbe aus und denkt sogar über die Verschiebung der EM um ein Jahr nach. Die DFL ließ hingegen bis Freitag nichts von sich hören. Dann kam nach einer Sondersitzung erst der Vorschlag, den aktuellen Spieltag wie geplant auszutragen und danach eine Pause bis zum 2. April einzulegen. Wenige Stunden später dann der endgültige Sinneswandel: Schon an diesem Wochenende finden keine Spiele im deutschen Profifußball statt. So hatten es Liga-Verantwortliche in fast allen anderen europäischen Ländern längst beschlossen. Nur die DFL hatte bis zuletzt ausgeharrt – bis es von vielen Spielern Proteste dagegen gegeben hatte.
Die so oft betonte gesellschaftliche Verantwortung endet für den Profifußball wieder mal dort, wo die eigenen Interessen beeinträchtigt werden. So ist es wohl, wenn man sich vollends verkauft hat und Vertragsinhalte das Verhalten beherrschen. Demnächst verkauft die DFL die Medienrechte ab 2021 für vier weitere Spielzeiten. Gerechnet wird mit Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe. Dass der 1. FC Union ein Unternehmen und ein Teil dieser eigenen Welt ist, das hat Präsident Dirk Zingler nie bestritten. Doch es sollte nicht dazu führen, sie zu überhöhen. Im Streit mit Jens Spahn ist ihm dieser Fehler unterlaufen: Wenn man der Empfehlung des Gesundheitsministers folge, »dann sollten wir anfangen, den öffentlichen Personennahverkehr in Berlin einzustellen – und nicht Veranstaltungen aufzukündigen.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!