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Kliniken im Stresstest
In der Krise sollen die Krankenhäuser zur Deckung des tatsächlichen aktuellen Bedarfs zurückkehren
Sind die deutschen Kliniken ausreichend vorbereitet auf die neue, möglicherweise schnell wachsende Patientengruppe mit der Lungenkrankheit Covid-19? Werden die 27 000 Intensivbetten hierzulande für alle reichen, für die Atemwegspatienten mit Corona und für alle anderen, die schon bisher hier versorgt werden mussten? Zur letztgenannten Gruppe gehören zum Beispiel Menschen mit Herzinfarkt, Blutungen im Verdauungstrakt, schweren Asthmaanfällen oder Unfallopfer. Die Einschätzungen dazu sind sehr unterschiedlich.
Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin sieht relativ gute Voraussetzungen - unter anderem wegen jener 100 000 Betten von knapp einer halben Million insgesamt, die üblicherweise gar nicht belegt sind. Zudem hätte Deutschland im Vergleich zu Italien bezogen auf je 1000 Einwohner zweieinhalb Mal so viele Intensivbetten. Als Einschränkung für die relativ gute Ausgangslage nennt Busse den Schutz des Personals vor Ansteckung. Als Problem sieht der Wissenschaftler, dass Deutschland 50 Prozent mehr Klinikpatienten hat als im Schnitt der EU-Länder. »Jeder dritte von unseren Patienten wäre in anderen Ländern nicht stationär im Krankenhaus.«
Aber selbst bei 20 000 Covid-19-Neuerkrankungen pro Tag würden nach Busses Modell die Klinikressourcen reichen, da nach bisherigen Berichten die Zahl der intensivpflichtigen Patienten jeweils zwischen 10 und 20 Prozent der Gesamtfälle liegt. Die relativ optimistische Betrachtungsweise wird dadurch gestärkt, dass zu Beginn der Ansteckungswelle in Deutschland einige der einbezogenen Kliniken eher mit leichten Fällen zu tun hatten, die zwar isoliert werden mussten, aber keine schweren Symptome zeigten.
In den letzten zehn Tagen gab es zudem eine kurze Debatte um die Beteiligung privater Krankenhäuser an der Versorgung von Corona-Patienten. Vertreter von öffentlichen und kommunalen Krankenhäusern befürchteten, die privaten könnten sich weiterhin auf die ertragsstarken, planbaren Eingriffe wie die Implantation künstlicher Gelenke zurückziehen. Die Kassen seien gefordert, alle Voraussetzungen für eine kostendeckende Abrechnung des neu entstehenden Bedarfs durch Covid-19 zu schaffen. Inzwischen haben die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) den Krankenhäusern finanzielle Rückendeckung zugesichert.
Jedoch bleibt eines fraglich: Wie könnte das jetzt fehlende Personal für die Intensivpflege »schleunigst aufgebaut« werden? Dies schlug der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vor. Für die Weiterbildung von Fachpflegekräften müssten diese jedoch aus dem laufenden Betrieb in anderen Abteilungen abgezogen werden. Schon unter den Bedingungen des normalen Personalmangels in der Pflege bis Ende letzten Jahres scheint das schwer vorstellbar. Oder nur dann, wenn ein ganzer Teil anderer Patienten nicht mehr stationär aufgenommen würde - und Deutschland sich so dem Mittel der EU-Staaten in dieser Frage annähern würde.
Offenbar will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die nötige Personaldecke dadurch stärken, dass pensionierte Ärzte und Pfleger zurückgeholt werden. Auch Studenten sollten helfen, schlug der Minister in einem Brief an die Geschäftsführer der deutschen Krankenhäuser vor.
Am Donnerstagabend hatte zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen, dass planbare Eingriffe in allen Krankenhäusern weitgehend einzuschränken und zusätzlich Intensivkapazitäten zu schaffen wären. Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, befürwortet gegenüber dem »nd« dieses Vorgehen, auch wenn die Beschlüsse spät gekommen seien. Weinberg warnt aber davor, dass sich wohl nicht alle Kliniken an den eindringlichen Appell von Minister Spahn zur Verschiebung planbarer Operationen halten würden. Deshalb müssten Gesundheitsämter ein Durchgriffsrecht in dieser Frage erhalten: »Wir brauchen eine flächendeckende Versorgungsplanung für Intensiv- und Beatmungsplätze. Dazu gehört eine Meldepflicht freier und absehbar freier oder frei zu machender Kapazitäten, um regionale Verlegungen aus überlasteten Kliniken zu reorganisieren.« Nicht zuletzt müsse laut Weinberg das Personal in der Krankenhausreinigung deutlich aufgestockt werden.
Im Übrigen sieht sich Weinberg, ebenso wie andere Kritiker der deutschen Krankenhauspolitik in seiner Ablehnung von Kommerzialisierung und Kostendruck im Klinikbereich bestätigt: »Wer betriebswirtschaftlich effizient arbeiten muss, verfügt über keine gute Personalausstattung und hält weder Material noch Betten für den Krisenfall vor.«
Der politische Umgang mit der Krise hat jedoch aus Sicht des Linke-Politikers auch und »zurecht die gesundheitsschädliche Markt- und Wettbewerbslogik in den Krankenhäusern aufgehoben«. Die Entscheidungen von höchster Ebene bewirkten nun eine Umkehr der bisherigen Krankenhauspolitik: »Konsequente Ausrichtung am aktuellen Bedarf bei kostendeckender Finanzierung«.
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