- Berlin
- Corona
»Wir werden alle Sparschweine schlachten«
Linke-Landeschefin Katina Schubert fordert Corona-Hilfen
Die Coronakrise trifft Berlin ins Mark. Wie bewerten Sie die Lage?
Das öffentliche Leben in der Stadt ist weitgehend eingeschränkt. Jede Berlinerin und jeder Berliner spürt, dass das Leben anders funktioniert. Viele müssen zu Hause bleiben. Zusammenhalt und Solidarität sind jetzt das Gebot der Stunde. Es muss uns gelingen, die soziale Infrastruktur aufrechtzuerhalten und das soziale Miteinander zu organisieren, ohne sich dabei körperlich zu nahe zu kommen - das ist die riesige Herausforderung. Also den Balanceakt zwischen notwendigen Verfahrensweisen und Beibehaltung demokratischer Prinzipien hinzubekommen.
Katina Schubert ist Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei. Die 58-Jährige, die seit Dezember 2016 im Amt ist, ist zugleich Arbeitsmarkt- und flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Was kann eine politische Partei in solch einer Krisensituation machen? Das ganze Parteileben wurde ja ebenfalls heruntergefahren.
Wir stellen gerade auf Videokonferenzen um, wo man sich zumindest in die Augen schauen kann, und auf Telefonkonferenzen. Unsere Geschäftsstellen sind zwar geschlossen, aber alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind weiter telefonisch und per Mail erreichbar, damit sie bei Hilfseinsätzen und Unterstützungsmaßnahmen gerade bei älteren Parteimitgliedern mitwirken können. Und natürlich stehen wir als Partei mit unseren Regierungsmitgliedern im Senat und in den Bezirken im ständigen Austausch darüber, welche Maßnahmen erforderlich sind, was notwendig ist und was wir an schweren Eingriffen akzeptieren können.
Am Krisenmanagement des Senats wurde bis vor Kurzem harsche Kritik geäußert, Stichwort zu zögerlich. Wie nehmen Sie als Parteivorsitzende, die nicht direkt ein Regierungsamt hat, das Agieren des rot-rot-grünen Senats wahr?
Ich nehme wahr, dass sich die Linken-Mitglieder des Senats und der Senat insgesamt sehr, sehr ernst mit der Situation auseinandergesetzt haben. Natürlich gibt es ein Zögern, wenn Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt werden. Jeder Schritt muss genau überdacht werden und verhältnismäßig sein. Klaus Lederer hat mit der Schließung erst der großen und dann der kleinen Kulturhäuser vorgemacht, dass er die Ernsthaftigkeit der Lage klar erkannt hat. Wenn dann noch Kneipen, Clubs und vieles mehr geschlossen werden, sind das weitgehende Schritte, die aber nötig sind.
Aus der Linksfraktion war zu hören, dass einige Besserwisser in den Medien die schwierige Situation nutzen würden, um quasi eine Art Kampagne gegen den rot-rot-grünen Senat zu fahren. Haben Sie auch diesen Eindruck?
Medienschelte ist nicht angesagt. Es sind aber Leute im politischen Raum gut beraten - egal ob als Politiker oder Medienmacher -, sich jetzt auf die Bewältigung der aktuellen Krise zu konzentrieren. Und zwar, ohne dass es Kollateralschäden an Demokratie und Freiheitsrechten gibt. Jetzt geht es zuvorderst um die Bewältigung der sozialen Folgen, die gravierend sein werden. Da sind kampagnenartige Forderungen an den Senat einfach fehl am Platze.
Die Linke steht wie keine andere Partei für das Soziale. Sie haben es gerade angesprochen: Die Zahl der Hilfsbedürftigen wächst quasi täglich. Wie kann eine Partei mit über 7000 Mitgliedern da helfen?
Ganz konkret: Unsere Beschäftigten und viele unserer Mitglieder unterstützen die Soliaktionen in den Bezirken, in der eigenen Nachbarschaft. Bieten zum Beispiel Hilfe bei Einkäufen und Erledigungen an. Wir als Partei können vor allem darauf Einfluss nehmen, was die Regierungen im Bund und in den Ländern auf den Weg bringen. Das ist unsere Aufgabe. Es steht außer Frage, dass die Schuldenbremse jetzt ausgesetzt werden muss. Dass es massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur geben muss. Wir erleben jetzt, dass die marktförmige Umstrukturierung des Gesundheitswesens uns auf die Füße fällt. Wir brauchen mehr und besser bezahltes Personal in diesem Bereich und ein Ende der neoliberalen Marktideologie für das Gesundheitswesen. Wir müssen verhindern, dass die kleinen und mittleren Unternehmen zusammenbrechen und dass beispielsweise Soloselbstständige und geringfügig Beschäftigte ohne Einkommen dastehen. Deshalb brauchen wir schnell temporäre Lösungen wie ein Corona-Geld.
Ihr Parteikollege, Kultursenator Klaus Lederer, warnte gegenüber »nd« im Zusammenhang mit den nun arbeitslosen Künstlern davor, zu große Erwartungen zu wecken. Ohne den Bund kann Berlin das doch gar nicht stemmen?
Ohne den Bund wird es nicht gehen. Es wird auch ohne die Finanzierungssäule der Bundesagentur für Arbeit nicht gehen, die gut gefüllte Kassen hat. Da müssen Bund und Länder eng zusammenarbeiten. Die Frage ist, werden nur Unternehmen in den Blick genommen oder auch die Beschäftigten, die prekär Beschäftigten vor allem, die keine großen Rücklagen haben?
Das Land Berlin hat selber weiter einen hohen Schuldenberg, dennoch liegen beispielsweise im Sondervermögen Wachsende Stadt, dem berühmten SIWA, angeblich fast drei Milliarden Euro, die bislang für die ursprünglich geplanten Investitionen nicht genutzt wurden. Muss dieses Sparschwein nicht geschlachtet werden?
Es werden jetzt alle Sparschweine geschlachtet werden müssen, damit die Berliner Beschäftigten und die Berliner Wirtschaft gut über die Krise kommen.
Fährt Berlin seine Arbeitsbeschaffungsprogramme wie das Solidarische Grundeinkommen hoch? Ist nicht auch die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen gekommen?
Es gibt bereits Überlegungen, gerade für den Bereich der geringfügig Beschäftigten ein temporäres Grundeinkommen zu zahlen. Es gibt die Überlegung, jetzt schnell das Arbeitslosengeld II zu erhöhen. Wir müssen in diese Richtung denken.
Heißt das, Sie unterstützen das?
Selbstverständlich. Es braucht schnelle Entscheidungen, die wirklich helfen. Die müssen allerdings auf der Bundesebene gefällt werden, das können nicht wir auf Berliner Ebene machen. Auch wenn wir das Solidarische Grundeinkommen ausweiten würden, ist damit noch nicht alles gelöst. Denn nicht für alle passt das. Mal ehrlich: Ein kulturschaffender Selbstständiger wird nicht morgen als Mobilitätshelfer im Öffentlichen Personennahverkehr arbeiten wollen. Da muss auch seine Qualifikation und sein Beruf erhalten werden.
Was ist mit Obdachlosen und Geflüchteten, wie wird diesen Menschen geholfen?
Wir brauchen mehr Wohnungen für obdachlose Menschen. Genauso brauchen Geflüchtete eigene Wohnungen. Immerhin haben wir keine Notunterkünfte wie in Turnhallen mehr, sondern abgeschlossene Einheiten. Dennoch müssen wir natürlich wegkommen von den großen Unterkünften, daran arbeitet der Senat mit Hochdruck.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.