Bolsonaro gefährdet Brasilien

Rechtsradikaler Präsident verkennt Gefahr des Coronavirus für die Bevölkerung

  • Niklas Franzen, São Paulo
  • Lesedauer: 4 Min.

Seine Geburtstagsparty will sich Jair Bolsonaro vom Coronavirus nicht versauen lassen. Das erklärte Brasiliens Präsident am Dienstag in einem Interview mit einem Radiosender. Bolsonaro wird am kommenden Samstag 65 und will eine »traditionelle Feier« ausrichten. Im gleichen Interview bezeichnete er den Umgang mit dem Virus als »Hysterie«.

Diese Aussagen sind symptomatisch für den kopflosen Kurs des Rechtsradikalen. Vergangene Woche hatte Bolsonaro den Virus als »Fantasie« bezeichnet und in verschwörungstheoretischer Manier gewettert: Die Medien machten das Problem größer, um ihm zu schaden. Nur einen Tag später stand er selbst unter Corona-Verdacht. Sein Kommunikationschef Fabio Wajngarten wurde nach einer USA-Reise positiv auf das Virus getestet. Bolsonaro ließ sich zweimal testen, die Ergebnisse: negativ.

Die ärztlich verordnete Isolation ist Bolsonaro derweil egal. Am Sonntag fanden landesweite Demonstrationen von ultrarechten und faschistischen Gruppen für die Regierung statt, bei denen auch für eine Rückkehr zur Militärdiktatur und die Abschaffung des Parlaments demonstriert wurde. Bolsonaro teilte nicht nur Videos der antidemokratischen Proteste, sondern grüßte auch persönlich Demonstrant*innen in der Hauptstadt Brasília. Er schüttelte Hände, schoss Selfies, badete ohne Schutzmaske in der Menge.

Brasiliens Nachbarstaaten Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru erklärten mittlerweile, die Grenzen zu schließen. Laut Bolsonaro sei die Maßnahme »wenig effektiv«, er wolle lediglich prüfen, die Grenze zum Rivalen Venezuela zu schließen. Als am Montag die Staatschefs Südamerikas per Videoschaltung über die Gefahren des Coronavirus für den Subkontinent diskutierten, hätte eigentlich auch Bolsonaro zugeschaltet werden sollen. Doch der Präsident blieb fern, Außenminister Ernest Araújo nahm seinen Platz ein.

Der katastrophale Umgang Bolsonaros mit dem Virus könnte fatale Auswirkungen für das größte Land Lateinamerikas haben. Bereits jetzt gibt es mehr als bestätigte 300 Corona-Fälle. Am Dienstag verstarben die ersten beiden Personen. Sollte sich das Virus in den dicht besiedelten Armenvierteln ausbreiten, droht ein Kollaps des öffentlichen Gesundheitssystems.

Und eine weitere Sache könnte Brasilien auf die Füße fallen: die Einstellung des sogenannten Mehr-Ärzte-Programms. 2013 hatte Kuba auf Initiative der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (PT) begonnen, Ärzte in abgelegene Regionen Brasiliens zu schicken. Mehr als 18 000 Ärzt*innen kamen in das Land und behandelten Millionen von armen Brasilianer*innen. Nach Tiraden Bolsonaros gegen den sozialistischen Inselstaat, erklärte Kuba im November 2018, das Programm einzustellen und holte die Ärzte zurück.

Zudem bereitet die dramatische Situation in den Gefängnissen vielen Brasilianer*innen Sorgen. Aufgrund der Coronakrise wurde Häftlingen des halboffenen Vollzugs der Ausgang verboten. Daraufhin kam es am Montagabend in fünf Gefängnissen des Bundesstaates São Paulo zu Rebellionen, Hunderte Häftlinge brachen aus. Brasilien hat mit 700 000 Gefangenen eine der größten Gefängnispopulationen der Welt. Die Haftanstalten sind ein Pulverfass: Im Jahr 2006 kam es nach Rebellionen in mehreren Gefängnisse São Paulos zu kriegsähnlichen Zuständen außerhalb der Gefängnismauern mit hunderten Toten. Sollten nun weitere Aufstände losbrechen, droht die bereits chaotische Situation vollends zu eskalieren.

Während der Regierung unter Bolsonaro von vielen Seiten Untätigkeit und Ignoranz vorgeworfen wird, haben die Landesregierungen schneller und energischer gehandelt. Viele Gouverneure riefen den Notstand aus, öffentliche Veranstaltungen wurden abgesagt, Universitäten und öffentliche Einrichtungen geschlossen, der Nahverkehr eingeschränkt. Bolsonaro passten die Maßnahmen nicht, er sagte: »Das wird unserer Wirtschaft massiv schaden.« Unter dem Druck reagierte er aber und verhängte den Notstand für das ganze Land.

In der Tat leidet die brasilianische Wirtschaft schon jetzt unter den Folgen des Coronavirus. Die dramatische Situation in China, Brasiliens wichtigstem Handelspartner, führte zu einem Einbruch der Börsen und die brasilianische Währung ist auf ein Rekordtief abgesunken. Die Frustration vieler Brasilianer*innen wächst spürbar. Am Dienstagabend protestierten Bewohner*innen in zahlreichen Städten an ihren Fenstern gegen den Präsidenten. Sie hauten auf Töpfe und brüllten: »Weg mit Bolsonaro«. Die Coronakrise könnte schaffen, was der orientierungslosen und schwachen Linken nicht gelingt: Eine Bewegung gegen die Regierung aufbauen und Bolsonaro ins Abseits befördern.

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