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Rufe nach dem Rettungsschirm
Bundesfinanzminister wartet ab: Haushalt 2021 noch ohne Corona-Finanzplanung
Wo Menschen in der Quarantäne ihre Einkünfte verlieren oder die wirtschaftliche Existenz von direkten sozialen Kontakten abhängt, wachsen in der Coronakrise die Sorgen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband befürchtet, dass soziale Dienste gegenüber den angekündigten Hilfen für die Wirtschaft ins Hintertreffen geraten könnten, und forderte am Mittwoch umfassende Finanzhilfen für gemeinnützige Einrichtungen und soziale Dienstleister. Andernfalls stehe in relativ kurzer Zeit eine Welle von Insolvenzen bevor, erklärte der Verband. Ähnlich hatten sich bereits die Vertreter der Kunst- und Kulturszene geäußert. Dort gibt es besonders viele Freischaffende mit unsicheren Einkünften, die nun nach der Schließung der Bühnen vor dem Nichts stehen. Zugleich werden die Erwartungen der Wirtschaft lauter, flächendeckend schalten Wirtschaftsbereiche in den Notfallmodus.
Auch solche Berufsgruppen bringen ihre Sorgen zu Gehör: Die von der Bundesregierung beschlossenen Hilfsmaßnahmen müssten auch für Prostituierte gelten, forderte die Frauenrechtsorganisation »Terre des femmes« am Mittwoch in Berlin. Die jetzt verordnete, plötzliche Schließung von Bordellen führe zur sozialen Katastrophe für betroffene Frauen. Die Folgen der Coronakrise fallen im Detail sehr verschieden aus, die Einschränkungen werden nach und nach sichtbar. Doch eines eint alle Betroffenen: Die Erwartungen an die Politik summieren sich in finanzieller Münze zu einer gewaltigen Summe. Immer wieder wird das Bild vom Rettungsschirm bemüht, mit dem im Falle der Finanzkrise von 2008 die Bundesregierung ins Schlingern geratene Banken vor dem Ruin bewahrte.
Am Mittwoch richteten sich daher alle Augen auf den Bundeshaushalt, den das Bundeskabinett am Mittwoch in einem ersten Entwurf beschloss. »Wir können und werden alles tun, um unser Land durch diese schwierige Zeit zu führen«, versprach Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Was dies konkret bedeutet, ließ er offen. Denn ein Prinzip gilt für den Vizekanzler auch für den Haushalt 2021: das der Schwarzen Null. Zwar werde das Coronavirus erhebliche Auswirkungen auch auf die Haushaltsplanung haben, räumte er ein - jedoch sind diese in die Planung noch nicht eingepreist. Die Folgen der Krise könnten derzeit nicht seriös beziffert werden, hieß es im Finanzministerium. Zu ihnen könnte auch ein Einbruch der Steuereinnahmen gehören. Von einem Haushalt unter Vorbehalt und einem möglichen Nachtragsetat ist die Rede. Scholz selbst musste am Mittwoch zu Hause bleiben - erkältungsbedingt. Er lasse sich auf das Coronavirus testen, teilte er über Twitter mit.
Die Ausgaben des Bundes steigen 2021 um 2,3 Prozent auf 370,3 Milliarden Euro. Vorgesehen sind die Finanzierung der Grundrente und der weitgehende Abbau des Solizuschlags. Darüber hinaus betreffen die Investitionen des Staates vor allem den Verkehrssektor und den Breitbandausbau - 43 Milliarden sind jährlich bis 2024 dafür vorgesehen. Dazu kommen Mittel für den Klimaschutz und die Digitalisierung der Schulen. Dass jedoch neben diesen und trotz absehbarer und unwägbarer Ausgaben zur Coronabekämpfung vor allem der Militärhaushalt wächst, das bringt gerade die linke Opposition im Bundestag gegen den Haushalt auf. Der sogenannte Verteidigungsetat wächst auf 45,63 Milliarden Euro gegenüber 45,05 Milliarden im laufenden Jahr. Hinter dem Sozialhaushalt ist er damit der zweitgrößte unter den Ministerien. »Wir brauchen gute Krankenhäuser und größere Notfallkapazitäten statt neuer Kampfjets und teurer Kampfpanzer«, ließ sich Sevim Dagdelen von der Linksfraktion dazu vernehmen.
Ob diese Kapazitäten in der Krise ausreichen, ist noch nicht sicher. In Krankenhäusern und Altenpflege fehlten jeweils 100 000 Pflegekräfte, machte Linksparteichef Bernd Riexinger geltend. Er forderte ein »Sofortprogramm zur Aktivierung von Pflegekräften, das allen Pflegekräften - auch denen, die in den Beruf zurückkommen - 500 Euro im Monat Zulage zahlt«.
Die Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie wiesen am Mittwoch darauf hin, dass eine Infektion Menschen mit Beeinträchtigungen, die in entsprechenden Einrichtungen betreut werden, lebensbedrohlich sein könne. Unabdingbar sei daher ein Rettungsschirm zur sicheren Finanzierung der Leistungserbringer. Anders als kommerzielle Anbieter dürften nämlich gemeinnützige Träger kaum Risikorücklagen bilden. Auf Schließungen oder Ausfallzeiten seien gemeinnützige Einrichtungen daher nicht vorbereitet.
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