Kein Kissengefühl

Morrisseys Songs mit und ohne seine Band The Smiths spendeten in den fernen achtzigern Trost

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 2 Min.

In den fernen Achtziger Jahren konnte man sich in Morrisseys Songs einkuscheln wie in ein weiches Kissen, das man schon tausendmal mit heißen Weltschmerz-Tränen benetzt hatte. Seine Songs mit und ohne seine Band The Smiths spendeten Trost. »There is a Light that never goes out« oder »Everyday is like Sunday« sind unvergängliche Lebensgefühlshymnen. Und dann ist etwas passiert, das einem auf dem Weg zum Erwachsenwerden mit Freunden manchmal passiert. Das, was man lange so toll an dem Freund fand, entpuppt sich beim Älterwerden als profane Profilneurose. In den Achtzigern vertrat Morrissey linke Haltungen. Er wollte die Monarchie abschaffen (»The Queen is dead«), war gegen Margaret Thatcher (»Margaret on the Guillotine«), und er war radikaler Vegetarier (»Meat is murder«). Er war zart und androgyn statt hart und männlich (»There is a light that never goes out«).

Doch im Laufe der Jahre schlichen sich immer mehr rechte Plattitüden beim ihm ein (»Bengali in Platforms«, »National Front Disco«). Anfangs noch gemäßigt, dann offensichtlicher. Auch bei ihm waren Systemkritik und rebellischer Widerstand tendenziell rechts konnotiert, gegen einen angeblich existierenden »linken Mainstream«.

Doch Morrissey ist nicht Horst Mahler. Vielleicht ist er einfach nur ein Profilneurotiker, der sich mit seiner Ich-bin-dagegen-Haltung eine Persönlichkeit schustern will. Das Kissengefühl ist jedenfalls weg. Beim Hören seiner neuen Songs verkrampft man sich dauernd. Hat er jetzt wieder irgendeine rechtsradikale Partei unterstützt? War das jetzt Rassismus?

Und das ist schade. Denn seine Musik ist wunderschön. Auf seinem neuen Album »I’m not a Dog on a Chain« ist Morrissey ästhetisch gesehen richtig gut in Form. Klar, beim Titelsong springt einen seine Profilneurose gleich wieder an. Aber der Song ist wunderbar. Ein Morrissey-Fan fortgeschrittenen Alters kann sich dazu herrlich in den steifen Hüften wiegen. Produzent Joe Chicarelli gelingt eine erstaunlich gute Balance zwischen experimentellen Neuerungen und Bewährtem.

Die Single »Bobby, Don’t You Think They Know« ist mitreißend, weil Disco-Queen Thelma Houston mitwirkt. Ihr Gesang harmoniert unerwartet gut mit Morrisseys Indie-Crooning. Der Opener »Jim Jim Falls«, springt den Hörer an und trägt ihn dann hymnisch davon. Bei dem schönen »What Kind of People live in these Houses« fragt man sich nervös, ob das jetzt das Update zu »Bengali in Platforms« sein soll. Schwer zu sagen. Pop ist immer auch das, was die Hörer*innen in ihm entdecken. Man sollte sich das Morrissey-Kissen-Gefühl nicht von dem Profilneurotiker Morrissey wegnehmen lassen.

Morrissey: »I am not a dog on a chain« (Bmg Rights Management/Warner)

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