Nicht Stillstand genug

Italiens Gewerkschaften drohen mit Generalstreik - zum Schutz der arbeitenden Bevölkerung

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Italien hat einen Großteil seiner Wirtschaftsleistung heruntergefahren. Was für den Fortbestand des Landes nicht »wesentlich« ist, soll schließen, heißt es in der letzten Verordnung, die die italienische Regierung am Sonntagabend erlassen hat. Aber gerade an der Auslegung des Wortes »wesentlich« scheiden sich die Geister. Auf der einen Seite der Unternehmerverband, der eine extrem breitgefasste Interpretation vorzieht. Auf der anderen Seite die Gewerkschaften, die möglichst viele Arbeitnehmer in Sicherheit wissen möchten. Ihrer Meinung nach hat sich die Regierung erpressen lassen. Dagegen wollen sie mit allen Mitteln vorgehen - sogar mit einem Generalstreik!

Die ersten, die am Dienstag für acht Stunden streiken, sind die Metallarbeiter der Lombardei, weil sie der Ansicht sind, dass gerade in ihrer Region, die am stärksten von der Pandemie betroffen ist, besonders harte Maßnahmen notwendig sind. Aber auch in einzelnen Fabriken - so die Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL - haben die Belegschaften bereits die Arbeit niedergelegt. Besonders betroffen sind Betriebe des Luftfahrt- und des Militärbereichs.

Welche Wirtschaftszweige sind für ein Land, das vom Coronavirus so gebeutelt ist, wirklich »wesentlich«? Um diese Frage ist ein großer Streit in Italien entbrannt; die zweite Frage ist, wer zu entscheiden hat, welche Betriebe schließen müssen und welche nicht. Die Gewerkschaften werfen der Regierung vor, den Arbeitgebern einen zu großen Spielraum gelassen zu haben und die Arbeitnehmer nicht genügend zu schützen. So gibt es nur ganz allgemeine Richtlinien für die Maßnahmen, die umgesetzt werden müssen, um die Arbeitsplätze wirklich sicher zu machen.

Die Unternehmen dürfen derzeit sehr viel selbst entscheiden. Sie geben in eigener Verantwortung an, dass ihre Tätigkeiten und Produkte »wesentlich« sind und sie entscheiden auch selbstständig darüber, welche Arbeitnehmer wie geschützt werden. Ein herausragendes Beispiel ist das der Transportunternehmen und Lastwagenfahrer, die kreuz und quer durch das Land fahren. Viele von ihnen haben von den Arbeitgebern gerade mal eine Schutzmaske zur Verfügung gestellt bekommen, und das bei Ausbruch der Krise vor einem Monat. Dabei sagen alle Ärzte, dass man die Masken spätestens nach acht Stunden wechseln soll, damit sie wirksam sind. In vielen Betrieben bekommen nur diejenigen Arbeitnehmer Schutzmasken, die »entweder krank sind oder eine kranke Person zu Hause haben«, so heißt es in einer Erklärung des Unternehmerverbandes Confindustria.

Maurizio Landini, Generalsekretär der CGIL, der größten italienischen Gewerkschaft, erklärt die Streikwarnung so: »Wir rufen die Arbeitnehmern nur dort zum Streik auf, wo die Sicherheit nicht gewährleistet ist. Die Unternehmer haben bei der Regierung erreicht, dass sehr viele Bereiche als ›wesentlich‹ eingestuft wurden, die es tatsächlich nicht sind. Aber wir sagen, dass in dieser Phase die Gesundheit der Bürger vorgeht.«

Auch die Partei »Rifondazione Comunista - Europäische Linke« hat mit einer Erklärung zu diesem Themenkomplex Stellung bezogen. Das Papier trägt die bezeichnende Überschrift: »Für die Regierung und den Unternehmerverband zählt der Profit mehr als die Gesundheit!« Die lange Liste der als »wesentlich« eingestuften Betriebe sei »absurd und unerklärlich«. Und weiter: »So müssen Millionen Männer und Frauen ein Doppelleben führen; Samstag und Sonntag als Bürger, die noch nicht einmal Luft im Park schnappen dürfen, um sich und andere vor der Ansteckung zu schützen. Dann ab Montag als Arbeitnehmer, die in Bussen und U-Bahnen sitzen, um zur Arbeit zu fahren, wo sie dieser Ansteckung ausgesetzt sind und damit viele Mitbürger in Gefahr bringen.« Die Arbeitnehmer der Produktionen, die »für die Gesundheit und das Fortbestehen unseres Landes nicht unbedingt notwendig sind« werden zum Streik aufgerufen, auch um die Regierung dazu zu bringen, die »von der Verfassung verbrieften Rechte auf Gesundheit und Leben tatsächlich ganz oben an zu stellen«. Der Aufruf schließt mit den Worten: »Das Leben und die Sicherheit zählen mehr als der Profit!«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!