Frankreich im »sanitären Ausnahmezustand«

Frankreichs Premierminister Philippe kann von nun an per Dekret Maßnahmen anordnen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Frankreichs Premierminister Édouard Philippe hat seit Montagfrüh hat die Vollmacht, alle im Zusammenhang mit der Coronavirus-Epidemie nötigen sanitären, wirtschaftlichen und Sicherheitsmaßnahmen per Dekret anzuordnen. Am Wochenende hat die Nationalversammlung das Gesetz über den »sanitären Ausnahmezustand« verabschiedet, das Philippe für zunächst zwei Monate die Vollmachten erteilt.

Die Debatte und Verabschiedung hatte sich länger als geplant hingezogen, weil zunächst ein Kompromiss über die Kommunalwahl gefunden werden musste, die durch die Epidemie unterbrochen worden war. Wenn der zweite Wahlgang nicht bis Ende Juni nachgeholt werden kann, so wurde nun entschieden, muss die Wahl komplett neu durchgeführt werden. Davon ausgenommen sind allerdings die Städte und Gemeinden, die bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit ihren Bürgermeister gewählt haben.

Das Ausnahmegesetz sieht vor, zur Beratung der Regierung ein Komitee aus anerkannten Medizinern zu bilden. Zunächst geht es darum, ob und um welchen Zeitraum das am 15. März für zunächst zwei Wochen verhängte Ausgangsverbot für alle Bürger verlängert wird. Umfragen zufolge sind zwei Drittel der Franzosen schon davon überzeugt, dass sie sich auf einen längeren Aufenthalt in ihrer Wohnung einstellen müssen. Gegenwärtig darf das Haus nur zum Einkauf von Lebensmitteln oder für den Weg zur Arbeit, zum Arzt, zur Apotheke oder für einen kurzen Spaziergang im engen Umkreis der Wohnung verlassen werden. Dafür muss bei Kontrollen durch die Polizei eine Bescheinigung des Arbeitgebers oder eine eidesstattliche Erklärung vorgezeigt werden. Doch darüber haben sich viele Franzosen leichtfertig hinweggesetzt, so dass die Polizei 90 000 Verletzungen feststellen und 22 500 Mal Geldstrafen verhängen musste. Das Gesetz sieht nun eine Verschärfung und eine Staffelung der Strafe je nach Häufigkeit des Verstoßes von 135 bis 3750 Euro vor. Viele Parks und Strände wurden geschlossen. Immer mehr Mediziner fordern, ein totales Ausgangsverbot wie im chinesischen Epizentrum Wuhan zu verhängen.

Damit ist in Frankreich vorläufig nicht zu rechnen, im Gegenteil. Die Regierung ruft die Beschäftigten, die nicht per Computer und Internet von zu Hause aus arbeiten können, zur Rückkehr an den Arbeitsplatz auf, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Das gilt vor allem für die Lebensmittelindustrie und den Handel, das Transportwesen, die Energie- und Wasserversorgung, die Müllabfuhr und andere unerlässliche Dienstleistungsbereiche. Nur zu oft haben Beschäftigte ihr gesetzliches Recht, bei »akuter und schwerer Gefahr für Leib und Leben« der Arbeit fernbleiben zu können, großzügig ausgelegt. Zur Begründung wurde oft der Mangel an Atemmasken angeführt. Die sind tatsächlich knapp und werden vorrangig für Ärzte, medizinisches Pflegepersonal und Apotheker reserviert.

Auch die relativ geringe Kapazität für Coronavirus-Tests wird oft kritisiert, denn trotz einer Steigerung werden heute in Frankreich täglich nur 5000 Tests durchgeführt gegenüber 25 000 in Deutschland und 80 000 in Spanien. Da diese Tests nur bei medizinischem Personal und bei Patienten mit starken Symptomen der Krankheit eingesetzt werden, ergibt sich ein verzerrtes Bild, das keinen verlässlichen Vergleich mit anderen Ländern zulässt. Nach offiziellen Angaben von Montagmorgen sind in Frankreich seit 24. Januar 16 018 Menschen am Coronavirus erkrankt und 674 gestorben. Allerdings muss damit gerechnet werden, dass die Dunkelziffer der Betroffenen viel höher ist. Die wissen oft nichts von ihrer Erkrankung und können so ungewollt weitere Menschen anstecken.

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