Ein einsamer Mahner
Matthias Platzeck fordert bessere, partnerschaftliche Beziehungen zu Russland
Potsdam. Die US-geführte Militärübung »Defender 2020«, größter Truppenaufmarsch an Russlands Grenze seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ist am Wochenende endgültig abgebrochen worden. Zuvor hatte die Bundesregierung bereits die ursprünglich geplante Teilnahme von rund 4000 deutschen Soldaten abgesagt. Der Grund dafür war jedoch nicht die Einsicht, dass die Übung eine Provokation sondergleichen gewesen wäre - rund um den 75. Jahrestag der vor allem von der Roten Armee erzwungenen Kapitulation Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Der Stopp war lediglich der Corona-Pandemie geschuldet.
In Deutschland sehen außer der Linkspartei, der Friedensbewegung und zivilgesellschaftlichen Organisationen nur wenige ein Problem im fortgesetzten Säbelrasseln von Nato, EU und Bundesrepublik gegenüber Moskau.
Die seit dem Anschluss der Krim an Russland 2014 gegen das Land verhängten Sanktionen werden vor allem von ostdeutschen Politikern kritisiert. Denn es waren die östlichen Bundesländer, deren Unternehmen am meisten darunter und unter Moskaus Gegenmaßnahmen litten. Einer der wenigen, der die deutsche Russlandpolitik insgesamt seit langem kritisiert und die Wiederbelebung einer »Partnerschaft auf Augenhöhe« fordert, ist der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende Matthias Platzeck. In einem soeben erschienenen Buch mahnt er eine »neue Ostpolitik« an.
Im Interview mit »nd« warnte der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums vor den fatalen Folgen, die die politische Eiszeit für die Bundesrepublik und die EU haben könnte. Zwischen den »wirtschaftlich und militärisch starken Polen« um die USA und China habe Europa die Wahl, »allein und ohne Rohstoffe« dazustehen oder eine »sinnvolle Partnerschaft mit Russland« einzugehen. Optimistisch stimme ihn, so Platzeck, »dass stabil 70 bis 85 Prozent der Deutschen von der Bundesregierung erwarten, dass sie unser Verhältnis zu Russland verbessert«. Nötig seien dafür Gespräche »auf Augenhöhe«, die Einbindung des Landes in eine »gemeinsame Sicherheitsarchitektur« und eine Anerkennung der historischen Bedeutung Russlands beim Sieg über den Faschismus. So werde in Westeuropa immer noch der Jahrestag der Landung der Westalliierten im Juni 1944 in Frankreich als Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg begangen. Dabei habe die Rote Armee unter anderem schon 1942/43 in Stalingrad entscheidende Siege gegen die Wehrmacht errungen. nd Seite 2
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