»Ungesunder Gigantismus«

Fußballreporterin Claudia Neumann über die Krise als Chance, Hasskommentare und ihr erstes Buch

  • Lesedauer: 4 Min.

Bei der Europameisterschaft 2016 kommentierten Sie als erste Frau live im ZDF Fußballspiele bei einem großen Männerturnier. In Ihrem Buch schreiben Sie: »›Die erste Frau‹, kaum ausgesprochen, geht’s mir auf den Geist. Ein Terminus, der mich von nun an verfolgt.« Was stört Sie daran?

Weil ich alles aus meinem Selbstverständnis heraus gemacht habe. Ich bin mit Fußball aufgewachsen. Das sucht man sich ja als Kleinkind nicht aus. Und ich habe mich nie über das Frausein, weder in meiner Leidenschaft für den Fußball, noch in meinem Beruf, definiert. Plötzlich, mit dem Schritt zur Live-Kommentatorin großer Männerfußballspiele wie der EM und WM im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Millionenquote, hat das gewissen Widerstand ausgelöst.

Im Interview

Claudia Neumann, Jahrgang 1964, ist Sportkommentatorin und Reporterin beim ZDF. 2011 war sie die erste weibliche Live-Reporterin bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen, 2018 die erste bei einer Männer-WM. Im Internet wurde sie dafür immer wieder stark beschimpft. Darüber und über ihre eigene Geschichte im Fußball hat sie ein Buch geschrieben. »Hat die überhaupt die Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten? Wie ich lernte, das Leben sportlich zu nehmen« ist diese Woche erschienen. Über das Buch und Chancen für den Profisport durch die Coronakrise sprach Marion Bergermann mit der Fußballexpertin.

Sie wurden seit der letzten Europameisterschaft immer wieder im Internet stark beleidigt für Ihren Job als Live-Kommentatorin im Fußball.

Diese Beleidigungen sind eine Netz-Erscheinung. Die Live-Kommentierung großer Männerspiele von einer Frau scheint einige zu überfordern. Seit der EM 2016 sind Shitstorms meine hartnäckigen Verfolger. Das war ein Jahr später beim Confed Cup genauso wie 2018 während der Kommentierung eines Champions-League-Spiels und dann ziemlich heftig bei der WM. Ein vorläufiger Höhepunkt verbaler Niederungen sozusagen.

Vorher haben Sie im männerdominierten Sportjournalismus nie Ausgrenzungen erfahren?

Nein. Ich musste mich nie mit Ellbogen durchsetzen. Kollegen haben recht schnell mitgekriegt, dass ich ähnlich mit Fußball sozialisiert bin wie sie. Der Schritt hin zum Kommentieren eines Männerfußball-Großereignisses war der Auslöser für erste Netz-Bashings.

Eigentlich hätten Sie auch diesen Sommer bei der Fußball-Europameisterschaft kommentiert, oder?

Ja, und bei Olympia den Fußballbereich, sowohl Männer als auch Frauen. Das wartet jetzt im Jahr 2021, ganz sicher ein heftiges, arbeitsintensives Jahr - während im Moment alles stillsteht.

Was macht eine Sportreporterin in Zeiten von Corona mit ihrer Zeit?

Im Moment berichten wir noch über Entwicklungen, die die Coranakrise mit sich bringt. Die Verschiebung von Olympia wurde ja erst diese Woche entschieden. Und man muss abwarten, wie lange der Livesport Pause hat. Vielleicht können wir Überstunden abbummeln, um dann die Ärmel hochzukrempeln für ein pickepacke volles Jahr 2021. Und ich habe Hoffnung, dass sich durch die Erfahrungen während der Krise einiges zum Positiven verändern wird.

Können Sie da ein, zwei Beispiele nennen?

Vielleicht, dass in dieser Zeit, in der wir alle einen Tick entschleunigen, die eine oder andere automatisierte Verhaltensweise reflektiert und gegebenenfalls neu bewertet wird. Ein respektvolleres Miteinander ist dringend nötig. Was ich an Anfeindungen erlebt habe, ist ja nur stellvertretend für verrohte Umgangsformen in unserer Gesellschaft. Wir sind diesbezüglich an einem Tiefpunkt angelangt, wo es irgendwann kaum fieser geht. Das will doch im Grunde niemand.

Und wie geht es im Fußball weiter? Es gibt ja derzeit viele Spekulationen über die Zeit nach der Krise.

Etliche Vereine, vor allem im Amateurbereich, sind von Pleiten bedroht. Es zeigt sich derzeit eine Menge Solidarität von den Großen des Geschäfts für die Kleinen. Wie sich das am Ende alles auswirkt, hängt auch davon ab, wann wieder gespielt werden kann. Und mit welchen Einnahmen zu rechnen ist. Der Profifußball hat sich jahrelang zu einem immer größeren Milliardengeschäft entwickelt. Jetzt beklagt man sozusagen die Geister, die man rief. Die Blase droht zu platzen. Der Fußball ist schon sehr abgehoben, quasi eine Parallelgesellschaft.

Inwiefern?

Dieser Stillstand zwingt den ein oder anderen großen Player in diesem Business zur Neusortierung. Ob dieses latente Streben nach immer mehr Geld der richtige Weg war, darf bezweifelt werden. Ein ungesunder Gigantismus, der nun möglicherweise zum Umdenken anregt - und das kann man sich nur wünschen.

Ist der 1. FC Köln eigentlich, wie in Ihrer Jugend, noch Ihr Lieblingsverein?

Den Verein sucht man sich nicht aus, er wird es immer bleiben. Aber ich bin kein Fan mehr von irgendeinem Verein oder einem Spieler, so wie früher. Ich bin nach wie vor Fan dieses Spiels. Es fasziniert mich, und ein hochklassiges Fußballspiel beschert mir jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut.

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