Staatsversagen ohne Ende?

Rechtsterroristische »Gruppe S«: Keine Ermittlungen im Umfeld / 20 Neonazis in Hessen jahrelang unbeobachtet

Wir erinnern uns: Am 14. Februar wurden bei Razzien in sechs Bundesländern zwölf Männer festgenommen, ein weiterer blieb auf freiem Fuß. Der Generalbundesanwalt gab bekannt, gegen alle 13 werde wegen des Verdachts der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung ermittelt. Die Mitglieder der von den Ermittlern »Gruppe S« genannten Terrorzelle sollen unter anderem Anschläge auf Betende in Moscheen, auf Geflüchtete und Politiker in zehn Bundesländern geplant haben. Sie selbst haben sich demnach als »Der harte Kern« bezeichnet.

Was die Karlsruher Behörde seither herausgefunden und unternommen hat, wollten die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und Fraktionskollegen von der Bundesregierung wissen. Das Justizministerium ließ jedoch viele Fragen unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen unbeantwortet. In dem Regierungsschreiben, das »nd« vorliegt, heißt es, es werde weiter nur gegen 13 Personen ermittelt. Keiner der Verdächtigen sei den Strafverfolgern als sogenannter Gefährder bekannt. Nach den Verhaftungen hatte der »Spiegel« jedoch berichtet, der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Werner S., sei vor mehreren Monaten als rechter Gefährder eingestuft worden.

Auf die Frage, ob die Gruppe S Listen mit Angaben zu potenziellen Opfern geführt haben, antwortet das Ministerium, »aktuelle Sichtungen« hätten »einzelne Namensnennungen« von Politikerinnen und Politikern offenbart. Auskünfte über deren Zahl seien derzeit nicht möglich. Die Namen der bekannten Zielpersonen der Terrorzelle seien an die zuständigen Behörden »zur Prüfung der Durchführung etwaiger Maßnahmen in eigener Zuständigkeit weitergeleitet« worden. Einige Betroffene seien bereits über ihre Nennung auf Listen der Gruppe S informiert worden.

Martina Renner sagte dem »nd«, es gehöre zu den »zwingenden Lehren« aus den Ermittlungen zum NSU-Terror, dass potenzielle Opfer »sofort und konsequent informiert werden müssen«. Für die Linke-Politikerin ist es indes »verwunderlich«, dass die Zahl der weiteren an den Treffen der Terrorzelle und ihrer »informellen Struktur« Beteiligten immer noch unklar sei. Es dürfe sich »nicht wiederholen«, dass die Ermittlungen zu Unterstützern wie im Fall des NSU »eine Blackbox ohne Ergebnis« blieben, fordert Renner.

Laut »Spiegel« hat einer der mutmaßlichen Unterstützer der »Gruppe S«, Markus K., am 1. Mai 2009 an einem rechten Aufmarsch in Dortmund teilgenommen, bei dem mehrere Hundert Neonazis eine Gewerkschaftsdemo angriffen. Unter den von der Polizei damals festgesetzten Rechtsradikalen befanden sich auch Stephan E., der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, sowie Markus H., dem Beihilfe zum Mord an dem CDU-Politiker vorgeworfen wird.

E., der offenbar Verbindungen zum NSU-Umfeld hatte, war vom hessischen Verfassungsschutz seit 2014 als »abgekühlt« und damit als nicht mehr beobachtungswürdig eingestuft worden. Die Begründung: Er habe sich nicht mehr entsprechend betätigt - was, wie Recherchen von Journalisten ergaben, nicht stimmt. Am vergangenen Mittwoch wurde zudem bekannt, dass E. inzwischen auch eine Messerattacke auf einen Iraker im Januar 2016 zur Last gelegt wird, die das Opfer nur knapp überlebte. Ein bei E. sichergestelltes Messer soll als Tatwaffe identifiziert worden sein.

Derweil ergab eine Anfrage der Linken in Hessen, dass der dortige Verfassungsschutz insgesamt rund 20 Neonazis fälschlich als »abgekühlt« eingestuft hat. Dies habe das Amt bei einer internen Prüfung selbst festgestellt, berichtete die Linksfraktion im Wiesbadener Landtag am Donnerstag. Innenminister Peter Beuth (CDU) habe dies bestätigt. Nach Angaben des innenpolitischen Sprechers der Linksfraktion, Hermann Schaus, wird bei 150 weiteren Personen überprüft, ob sie »vor, während und nach der Aktensperrung weiter in der Neonaziszene aktiv« waren. Bei 1400 weiteren Personen sei dies nicht mehr überprüfbar, »weil die Akten vor Juli 2012 gänzlich gelöscht und geschreddert« worden seien. Dies, obwohl die Behörden seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 angeblich alle Akten mehrfach geprüft haben.

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