Verschwörungstheorien und Verzweiflung

Antisemitismus und rechte Nachbarschaftshilfe: Akteure der extreme­n Rechten haben keine einheitliche Position zur Corona-Krise

Ein Ausnahmezustand ist genau das, worauf die extreme Rechte seit langem gewartet hat. Eine völlige Änderung des öffentlichen Lebens, ein teilweiser Zusammenbruch der Wirtschaft. Genau das ist mit der Corona-Pandemie ei­ngetreten. Neonazis und andere Rechte stehen am Rand des gesellschaftlichen Diskurses und wissen nicht, wie sie mit der aktuellen Krise umgehen sollen. Vor einigen Tagen jubelte die AfD noch über Grenzschließungen und dass die Bundesregierung endlich ihre Forderungen erfüllt habe. Dieser Jubel ist mittlerweile verstummt und die Partei fordert Grenzen auf für Erntehelfer. Dass die wirtschaftliche Wohlfühlzone Deutschland ohne Arbeitsmigration nicht funktioniert, ist bei der Partei angekommen. Auch sonst hat sie, die sich sonst so gerne als Fundamentalopposition inszeniert, nicht viel zu bieten. In Umfragen schmelzen ihre Prozente dahin. Bei der außerparlamentarischen Rechten, Kleinstparteien und den diversen Einzelakteuren sieht es nicht anders aus.

In YouTube-Videos und dem Messenger Telegram verbreiten diverse Rechte Verschwörungstheorien. Die »Mobile Beratung Thüringen« berichtet in einer Zusammenfassung, beispielsweise über den esoterischen Verschwörungstheoretiker Heiko Schrang, der auf YouTube 160.000 Follower hat und zu den Szenegrößen gehört. Für Schrang stecken hinter der »Corona-Hysterie« die »teuflischen Eliten«. Ihr Plan sei es, Chaos zu stiften, um dann »ihre Ordnung« durchzusetzen. Hinter der Krise steckten »Freimaurer«. Der antisemitische Unterton von Schrangs Theorien ist klar erkennbar. Noch deutlicher ist ein anderes Beispiel der »Mobilen Beratung«: Der Neonazi David Köckert, der in einem Video sagt: »Wir kennen diesen Virus schon seit Jahrzehnten, wir, diese bösen Nazis, so schimpft man uns ja. Wir kennen den Virus schon seit Jahrzehnten und seit Jahrhunderten sprechen wir ihn an. Und dieser Virus ist der, der die Welt schon immer vergiftet hat.« Köckert meint natürlich die Juden. Antisemitismus als Erklärungsmodell für Krisen, das gehört in der extremen Rechten einfach zur DNA.

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Manchmal treibt der Verschwörungsglaube in der eigenen Szene extrem rechte Akteure allerdings auch zur Verzweiflung. Patrick Schröder, Geschäftsführer der Neonazi-Modemarke »Ansgar Aryan«, wandte sich vor wenigen Tagen in einem Video an »Die Aluhüte« und beschwerte sich darüber, was er als Szene-Promi so alles zugeschickt bekommt. Seine aktuellen Beispiele, ein älteres Medikament gegen Corona-Viren. Schröder beschwerte sich, mancher sei offensichtlich nicht in der Lage, eine Suchmaschine zu benutzen und herauszufinden, dass es verschiedene Coronaviren gibt und diese schon seit Jahrzehnten bekannt sind. In einem anderen Video macht sich Schröder über diejenigen lustig, die glauben, Corona sei eine Erfindung, um nationalistische Bewegungen zu unterdrücken.

Andere Akteure der extremen Rechten verlieren in der Corona-Krise offenbar den Glauben an das deutsche Volk. Die Rechtsrockband »Blutlinie« spielt im aktuellen Song »Klo, Papier, Nation« zwar auch mit Verschwörungstheorien, den Song durchzieht aber eine Wut auf die Reaktion der Deutschen auf die Krise. Hamsterkäufe, Diebstähle von Klopapier aus Schulen - das will nicht ins Selbstbild vom Herrenmenschen passen. Wie man die Kritik am Krisenverhalten mit dem eigenen Geschäftssinn verbinden kann, zeigt der Versand des Dortmunder »Die Rechte«-Ratsherren Michael Brück. Er verkauft seit kurzem ein T-Shirt, das einen germanischen Krieger mit zwei Äxten zeigt. Dazu die Aufschrift: »Der Deutsche hamstert nicht«. Der Zweifel am Volk wird in der Produktbeschreibung deutlich: »Früher hat unser Volk im Teutoburger Wald oder vor Stalingrad gekämpft, heute im Supermarkt um Toast und Klopapier. Mehr braucht dazu wohl nicht gesagt zu werden!«

Ein bisschen Umsturzrhetorik bleibt der extremen Rechten in der Coronakrise zwar erhalten, und mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien kann sie sicherlich den ein oder anderen Menschen beeinflussen. Ihre sichtbarsten Aktivitäten entfalten mehrere Organisationen allerdings in Einkaufshilfen, die sich natürlich nur an deutsche Rentner richten. Ob sich wirklich so viele Alte die Einkäufe von Nazis bringen lassen, wie die Propagandameldungen der Rechten andeuten, bleibt allerdings fraglich. Sozialer Aktivismus der extremen Rechte war in den vergangenen Jahren immer wieder vorrangig ein Instrument der eigenen Öffentlichkeitsarbeit und nicht mehr.

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